Der Käsemann-Mord und die deutsche Regierung

mensch 19.02.2012 21:06 Themen: Repression Weltweit
Am 24. März 1976 wurde in Argentinien die verfassungsmäßige Regierung von Isabel Perón durch einen Putsch gestürzt und die Militärs übernahmen unter General Jorge Videla die Staatsmacht.
Um ihre Ziele zu erreichen, erachteten die Militärs die Ausrottung aller subversiven Kräfte und oppositionellen Gruppen als notwendige Maßnahme. Es wurden nicht nur klar definierte politische Gruppen verfolgt, sondern auch kritische Intellektuelle sowie Gewerkschafter und Studenten.
Dabei erregte das „Verschwindenlassen“ von Menschen weltweit Aufsehen. Die Menschen wurden von zivil gekleideten oder uniformierten Sicherheitskräften verschleppt und in geheime Gefangenenlager gebracht, wo sie gefoltert und in den meisten Fällen anschließend ermordet wurden. Insgesamt wird die Zahl der „Verschwundenen“ von argentinischen Menschenrechtsorganisationen für die Jahre 1976 - 1983 auf 30.000 geschätzt.
Am 26. Februar 2010 wurde in Argentinien ein Prozess gegen acht frühere Militärangehörige wegen Mord und Entführung in über 100 Fällen eröffnet (Menschenrechtsverletzungen in 157 Fällen), darunter der Fall Elisabeth Käsemann. Als Nebenkläger nimmt die Bundesrepublik am Verfahren teil. Der Käsemann-Mord soll auch im Verfahren gegen den früheren Junta-Chef Jorge Rafael Videla verhandelt werden. Dabei tritt die Bundesrepublik als Nebenklägerin auf.
In der Nacht vom 8. auf den 9. März 1977 wurde Elisabeth Käsemann von den argentinischen Militärs in Buenos Aires entführt. Am Abend zuvor war sie bei ihrer Freundin Diana
Austin gewesen. Beide hatten verabredet, sich am nächsten Morgen zum Frühstück bei Diana wieder zu treffen. Dazu kam es nicht mehr.
Elisabeth wurde stattdessen in das geheime Haftzentrum Campo Palermo verschleppt. Dort wurde sie bei stundenlangen Verhören mit Schlägen und Elektroschocks gefoltert.
Um den 18. Mai 1977 herum wurde Elisabeth Käsemann in das Gefangenenlager El Vesubio in der Provinz Buenos Aires verlegt.
El Vesubio war unter den Gefangenen als die „Hölle“ bekannt. Hier wurden die Gefangenen nach der Folterung in winzigen Zellen, die Hundehütten glichen, auf dem Boden liegend, mit einer Kapuze über dem Kopf mit einer Handschelle an die Wand gefesselt.
In der Nacht vom 23. auf den 24. Mai 1977 wurden Elisabeth und 15 weitere Gefangene mit
Handschellen und einer über den Kopf gestülpten Kapuze ohne Augenschlitze von
den argentinischen Sicherheitskräften zum Ort Monte Grande gebracht. Dort wurden sie aus
unmittelbarer Nähe erschossen.
Zwei Tage, nachdem Elisabeth gefangen genommen worden war, stürmte eine Gruppe bewaffneter Männer Diana Austins Apartment. Sie wurde sofort gefesselt und ihre Augen wurden mit einem dicken Elastikband verbunden. Aufgrund der Fragen der Männer wusste Diana, dass Elisabeth festgenommen worden war. Diana Austin wurde in das gleiche Lager wie Elisabeth Käsemann gebracht, verhört und misshandelt. Sie konnte Elisabeths Schreie
hören, sie aber nicht sehen. In der Nacht des 14.3.1977 erhielt sie ihren britischen Pass zurück mit der Anweisung, über alle Vorkommnisse zu schweigen und das Land sofort zu verlassen. Sie flüchtete daraufhin in die USA.
Am 28. März 1977 erreichte Diana Austin noch von Argentinien aus die Eltern Elisabeths per Telefon. Aus Angst vor Verfolgung deutete Diana jedoch das Verschwinden von Elisabeth nur an. Am 6. April 1977 telefonierte Diana Austin abermals mit Ernst Käsemann, aber diesmal aus New York und berichtete nun genauestens, was vorgefallen war. Sie tat dies auch schriftlich, fertigte einen detaillierten, dreiseitigen Bericht für Amnesty International
an mit der Bitte, ihn an die Deutsche Botschaft in Buenos Aires weiterzuleiten. Das Diakonische Werk in Stuttgart versuchte daraufhin, mit Hilfe kirchlicher Kanäle die Familie Käsemann zu unterstützen und erfuhr dabei von einem Informanten, Elisabeth befinde sich in einem gewissen „Campo Palermo“ in Haft.
Nach dem Telefongespräch mit Diana Austin versuchten die Eltern Elisabeths alles ihnen Mögliche, um Elisabeth zu retten. Sie wandten sich sofort mit der Unterstützung der Evangelischen Kirche an das Auswärtige Amt in Bonn. Das wiederum erhielt am 31. März 1977 von der angefragten Deutschen Botschaft in Buenos Aires per Telex die Auskunft, eine Elisabeth Käsemann sei in Argentinien nicht bekannt.
Dabei besaß Elisabeth Käsemann einen Personalausweis der argentinischen Bundespolizei und in derselben Deutschen Botschaft war ihr erst am 11.02.1976 eine Passverlängerung beurkundet worden.
Anfragen über das Schicksal und den Verbleib Elisabeth Käsemanns wurden zu keiner Zeit von einer höheren Stelle als dem bundesdeutschen Botschafter in Buenos Aires an die argentinische Regierung gestellt. Weder wurde der argentinische Botschafter in Bonn in das Auswärtige Amt einbestellt, noch wurde das Auswärtige Amt direkt gegenüber der argentinischen Regierung tätig. Die Deutsche Botschaft ist ihrer Hilfspflicht einer deutschen
Staatsbürgerin gegenüber nicht nachgekommen. Ganz im Gegenteil: alle Bemühungen der Eltern wurden ignoriert und mit Gleichgültigkeit behandelt. Diese Tatsache spricht Bände über die Unfähigkeit der deutschen Diplomatie und das fehlende Interesse von Politikern und Beamten der Bundesregierung, dieser Gewaltwelle Einhalt zu gebieten. Auch schenkte die Bundesregierung eher dem argentinischen Militär Glauben, welches behauptete,
Elisabeth Käsemann sei am 24. Mai 1977 in einem Feuergefecht getötet worden.
Die Politik der Bundesregierung gegenüber der argentinischen Militärdiktatur wurde weitgehend von wirtschaftlichen Interessen bestimmt.
Ein lukratives Atomgeschäft und Waffenverkäufe in großem Umfang ließen die Politiker und führenden Wirtschaftskräfte in der Bundesrepublik darüber hinwegsehen, dass in Argentinien
Menschen „verschwanden“. Mit der Militärdiktatur wurden „freundschaftliche Beziehungen“ gepflegt, um die, teils durch Bundesanleihen abgesicherten, Geschäfte der bundesdeutschen
Privatwirtschaft nicht zu gefährden.
Der deutschen Regierung unter Bundeskanzler Helmut Schmidt und dem dafür zuständigen Außenminister Hans-Dietrich Genscher waren die guten wirtschaftlichen Beziehungen zu Argentiniens Junta wichtiger als die Einhaltung der Menschenrechte und die Rettung des Lebens der deutschen Entführten. Neben Käsemann wurden Klaus Zieschank und 100 weitere Deutsche und Deutschstämmige getötet.
Angehörige von deutschen „Verschwundenen“ erhoben vor allem schwere Vorwürfe gegen die deutsche Botschaft in Buenos Aires und das Auswärtige Amt. Es gibt, wie im Fall Käsemann eingehend dokumentiert ist, zahlreiche Hinweise, dass die deutschen Behörden trotz eindringlicher Appelle der Familien nichts unternahmen, um bei den argentinischen Behörden zugunsten der willkürlich Verhafteten zu intervenieren. Im Fall Käsemann gilt dies als besonders tragisch, da sie zum Zeitpunkt der Bitten der Familie an die Behörden zwar schwer gefoltert wurde, aber noch lebte. Nachdem bekannt wurde, dass sie durch vier Schüsse in den Rücken bei einem angeblichen Gefecht mit Rebellen getötet worden war, eine bald widerlegte Schutzbehauptung der Argentinier, meinte ein Familienmitglied: „Ein verkaufter Mercedes wiegt zweifellos mehr als ein Leben.“ Ein vom Vater Käsemanns beantragtes Ermittlungsverfahren gegen die argentinische Militärregierung wurde von der Tübinger Staatsanwaltschaft im Februar 1980 eingestellt. Bis heute setzt sich die deutsche Organisation Koalition gegen Straflosigkeit für die Strafverfolgung der an Verbrechen an Deutschen beteiligten Täter ein.
Das argentinische Gericht verhängte am 14. Juli 2011 gegen zwei der Angeklagten lebenslange Freiheitsstrafen wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, fünf weitere Angeklagte wurden zu Haftstrafen zwischen 18 und 22 ½ Jahren verurteilt.

Siehe dazu:
Deutschland und die Diktaturen Lateinamerikas - Interview mit Karl-Heinz Dellwo
 http://www.youtube.com/watch?v=Q835UF8kCwc&feature=related
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Ergänzungen

Videos zum Thema

karl 19.02.2012 - 21:35
dass du zwei Tage schweigst unter der Folter
 http://www.youtube.com/watch?v=TvAIdOz7npg

Todesursache Schweigen
 http://www.youtube.com/watch?v=nUtUzY_XCe4

Panteon Militar - Kreuzzug gegen die Subversion
 http://www.youtube.com/watch?v=kCpIDmYZQgA

Gladys Ambort - Wenn die anderen verschwinden sind wir nichts
 http://www.youtube.com/watch?v=gzSTakUjuME