Der längste Castortransport

Dominique 12.12.2011 01:16 Themen: Atom
Castor 2011;

über die Anti-Atom-Tage im Wendland
Das Wetter im Wendland versprach nicht allzu viel Gutes.Es erinnert stets daran das kein Castortransport wie der Andere ist und somit die Proteste dagegen nicht zum Ritual erstarrt wie es viele Aussenstehende glauben.Schließlich entscheidet auch das Wetter,den sich jeder Mensch bei einer Castorblockade ja völlig aussetzt,über persönliche Grenzen.Der Sturm prallte zwar morgens unbarmherzig gegen die Zeltwand im Gedelitzer Camp aber immerhin prasselte nicht starker Regen darauf und die Temperatur war nicht eisig kalt wie beim letzten Castor.Das ersparte ein allzu mulmiges Gefühl nach dem Aufwachen.
Das Zeltlager war am Wochenende des Castortransports gut gefüllt,desdhalb mussten erst recht Strohsäcke für die Nacht gestopft werden womit die Böden der Gemeinschaftszelte überdeckt waren.Am Samstag den 26.11 starteten von Gedelitz aus Pendelbusse zur Auftaktkundgebung in Dannenberg.Als sich das abgeerntete Maisfeld mit Menschen füllte,lösten u.A. die Redebeiträge Betroffener aus Fukushima Beklemmung aus wie es kaum anders sein konnte nachdem der Castor bereits in Deutschland war. Werden wir vermitteln können daß durch einen langsamen Atomausstieg die Gefahren nicht aus der Welt geschafft und Gorleben als Endlagerstätte genausowenig wie Asse2 geeignet ist?
Es war der darauffolgende Sonntag,als sich um 12:00 Uhr im Camp Gedelitz ein Menmschenzug formierte,unterteilt in Bezugsgruppen.Die Tage zuvor waren Blockadetrainings,Infoveranstaltungen und nicht zuletzt Bezugsgruppenfindungen vorrausgegangen.Unsere Bezugsgruppe fand sich erst am Abend zuvor eilig zusammen.
Bezugsgruppen sind eine Art Schicksalsgemeinschaften.Die Mitglieder bleiben die ganzen Aktionstage zusammen,achtet aufeinander einschließlich auf Vollständigkeit,bespricht sich über Vorgehensweisen und entsendet eine Sprecherin o. einen Sprecher zum SprecherInnenrat der o.die anschließend weitere Fragen oder Ergebnisse bekanntgibt.Da ist es unerläßlich daß sich alle miteinander gut verstehen.Zum Glück kristallisierte sich das auch heraus als wir uns erstmalig als Bezugsgruppe fanden,in der knappen Abendstunde unter Moderation und aus einer großen Anzahl in kleinere Gruppen mit je etwa 10 Leuten entstanden.
So reihten wir uns also an diesem Sonntag im Zug ein.Von einem kreisenden Hubschrauber beobachtet ging es in den Wald nach Gorleben hinein.Wir tun es für viele kommende Generationen-sprach eine uns begleitende Stimme aus einem Megafon,nicht pathetisch sondern als Aufmunterung gegen aufsteigende Nervosität,die uns noch oft begleiten wird so oft es freilich mal Gelassenheit gibt.
"Wir sind Viele"kam es gegen 13:00 Uhr aus dem Megafon als sich uns eine Polizeikette entgegenstellte.Sie zerteilte sich vor unserer Übermacht."Nicht hämisch werden"mahnte es uns aus dem Megafon.Diese kam bestenfalls unter Einzelnen vor.War es doch nur eine kurze Erleichterung unter der Anspannung die mich nervös darauf achten ließ nicht die Bezugsgruppe aus den Augen zu verlieren,vor allem als sich der Menschenzug in mehrere "Finger" teilte um spätere Polizeiketten "durchzufließen".
"Nach dieser Erde wäre da keine..."stimmte ich in den Lied einer anderen Bezugsgruppe mit ein als wir eine weitere Stunde später neben einer viel längeren Polizeikette am Ortsrand Gorlebens nebenhergingen und uns ans "Durchfließen" vorbereiteten.Wie,haben wir auf Blockadetrainings eingeübt.Langsam zugehen mit Blickkontakt das natürlich nicht agressiv wirken soll und mit Handflächen nach aussen auf halber Höhe.Fassen sie eine/n können Andere durch die entsandene Lücke laufen.Wer festgehalten wird,wird auch gleich darauf wieder losgelassen sonst hätte ja die Kette keine Funktion mehr,und kann es wieder probieren.
Die Kette geriet in Bewegung,fasste mehrere,gab auf und formierte sich ein Stück weiter wieder neu.
Mir gelang es durch eine Lücke zu laufen,auch weil in diesem Moment die Polizeikette endgültig aufgegeben wurde.So kamen wir gegen 13:30 Uhr auf die L256,der Castortransportstrecke.

Die Blockade.

Ein Posaunenchor erinnerte an den ersten Advent und gab uns Mut für den weiteren Verlauf unseres Widerstands den wir auch wegen den zeitweiligen Regen brauchen konnten."Macht hoch die Tür..." spielten sie als Erstes,direkt vor uns weil wir die erste Reihe der Blockade bildeten. Hinter dem Chor lag der Ortseingang Gorlebens,mit halbhohen Sperren,den sog. Hamburger Gittern dichtgemacht.
Natürlich ist nie vorhersehbar wann die Polizei mit der Räumung beginnt aber am ersten Tag unserer Blockade war es noch nicht.trtzdem sprach der Einsatzleiter über Lautsprecher die Räumungsaufforderung aus.Ungewöhnlich,denn amsonsten erfolgt dann die Räumung die aber nur Sinn gehabt hätte wenn im Dannenberger Verladebahnhof die Tieflader mit dem Castorbehältern zur Weiterfahrt bereitgestanden hätten.Aber Dank erfolgreicher Blockaden,z.B. auf der Schiene in Harlingen,kam der Castor noch nicht bis dorthin.
Die hinter den Hamburger Gittern stehenden polizeikräfte machten keine Anstalten zur Räumung und ausserdem hätte erst Verstärkung kommen müssen.
Unsere Blockade nahm in die Abenddämmerung hinein ihren ungerürten Verlauf.
Das Gemecker innerhalb der öffentlichen Meinung konnte ich mir schon vorstellen über unsere Blockade die ein wenig an ein Straßenfest erinnerte wegen Discoklänge aus den Musikkampfwagen von Robin Wood,tanzender Menschen und den beleuchteten und trotzdem demonstrativ unkommerziellen Ständen indem das niederländische Kochkollektiv Rampenplan seine köstlich veganen Speisen austeilte mit einer Schlange von Leuten davor,die sich vor dem Schlafen in der Kälte noch einmal stärken wollten-Als ob die Blockade deshalb,und nur weil der Castor trotzdem irgendwann ankommt, an Sinn verliert.
Vor Mitternacht ebbte der Lärm ab.Der Polizeischeinwerfer leuchtete uns die ganze Nacht aus und das dazugehörige Generatorgebrumme begleitete mich in den Schlaf.
Wieviel CO 2 sie dafür wegen uns in die Luft blasen kam unserer Bezugsgruppe ironisch in den Sinn als der neue Tag dämmerte.Die Feuertonne vom Infopunkt neben der Transportstrecke war unser Treffpunkt um die Kälte der Nacht zu vertreiben.Die Blockade erwachte zur neuen Geschäftigkeit.
Der Blick auf dem Castorticker im Infopunktcomputer verriet das die Castorbehälter inzwischen im Verladebahnhof für den Straßentransport umgesetzt werden.
Unsere Nachbarn in der Blockade waren die österreichische Resistance for Peace. " Er würde bei uns hocken" sagte einer von ihnen noch sichtlich betroffen und sprach von Uwe,einem Mitstreiter.Sein Platz nahm eine Gedenktafel mit seinem Bild ein.Eine elektrische Trauerkerze flackerte.Er starb weil er krank war,soviel verriet er mir,vielleicht weil er zu viele Atomkraftwerke gestürmt hatte,vielleicht aus Zufall.

Die Räumung.

Kurz vor 16:00 Uhr sprach der Einsatzleiter die dritte,somit letzte Aufforderung zur freiwilligen Räumung.Nervosität beeinflusste die Dynamik der Blockade als wir Sachen in Rucksäcke verstauten, unsere chaotischen Nachtlager beseitigten und die dazugehörigen Strohsäcke bis auf Wenige an den Straßenrand räumten.
Mittendrin brachen wir alle in Jubel aus als sich ein etwa drei meter hohes gelbes X,von einem Kompressor aufgeblasen,über die Blockademenge aufrichtete.
So warteten wir als Bezugsgruppe,im Halbkreis auf Strohsäcken sitzend,das Kommende ab.Gleichzeitig kam uns in Bewußtsein daß uns die Presse im Blick hat da wir ja ganz vorne waren.Einen Grund sich in einer präsentativen Rolle zu verstellen sahen wir aber nicht.
Als ich erstmalig wegen den Castor ins Wendland,im November 2001,kam beeindruckte mich eine Begleiterin mit ihrer Meinung daß auch durch Blickkontakt zur Polizei eine positive Kraft ausgehen kann die besagt,ich will diese lebensfeindliche Technologie einfach nicht zulassen aber verachte euch nicht also tut mir nichts.Wenn ich damals die tiefere Bedeutung ihrer Überzeugung auch nicht einschätzen konnte so gab sie uns übrigen aber auch mehr Zuversicht.
Übt die Polizei trotzdem Gewalt aus ist ja hiermit klar welche Seite anzuklagen ist.
Diese Erinnerung kam mir in unseren nachdenklichen Halbkreis,indem bald Blauuniformierte hereinbrechen werden,wieder.
Mein Vorschlag,bei unserer Räumung "nicht einfach vor sich hin zu glotzen" sondern zu singen wurde angenommen.
Dann aber begleiteten melancholisch-getragene Lieder aus einem Musikkampfwagen unsere Situation die nun von aufmarschierenden Polizeikolonnen beherscht wurde und die beiden Straßenränder besetzten.Der Einsatzleiter war bemüht,über Lautsprecher den Einsatz als friedlich darzustellen da die einsatzkräfte keine Helme trugen um sie weniger martialisch erscheinen zu lassen.
Meine Sitzhaltung mit angewinkelten Beinen und Armen dazwischen signalisierten Friedfertigkeit da auf diese Weise nicht zum Schlag ausgeholt werden kann. Diese Deeskalation klappte früher öfters und nun auch bei den meisten unserer Bezugsgruppe.Diesmal aber nicht bei mir.
Ich hätte die Räumungsaufforderung ja gehört trat in strengen Ton eine Beamtin mit einen Kollegen an mich heran.Ob ich nun freiwillig mitgehe?Als ich schlicht nein sagte drückte sie auf einem Schmerzpunkt unter meinen Ohr und nötigte mich dazu,die Arme freizumachen.Dann trugen sie mich umständlich weg bis zum Straßenrand.Die Transportstrecke verließ ich dann freiwillig um keinen weiteren Schmerzgriff zu riskieren."Sah gut aus"sagte sie mir zuletzt noch sarkastisch.
Mir blieb nichts,als es gelassen hinzunehmen das es halt wieder die häufige Unterstellung war,sich nur öffentlichkeitswirksam für die Presse wegtragen zu lassen.
Spätere Berichte,wie etwa von Graswurzel-TV,machen klar daß das Räumungsverhalten sehr unterschiedlich war.

L256,der Tag danach.

Die Heidschnucke,die ein Helfer an einem Strick mitgeführt und am Straßenrand der L256 an einem Baum festgebunden hatte,kommentierte blökend unsere Aufräumarbeit.
Bevor wir uns bei der Heimreise endgültig in alle Richtungen zerstreuten übernahmen wir noch Dagebliebenen die an den beiden Straßenrändern geräumten Reste,die an das Menschengewimmel unseres Widerstands auf dieser Transportstrecke erinnerten.Denn die Müllabfuhr hätte es erst zwei Tage später beseitigt.
Strohsäcke warfen wir auf Treckeranhänger,Müll stopften wir in Tüten und verwendbare Rettungsfolien sortierten wir.

Es wird nicht das letzte Mal sein,daß wir uns im Wendland treffen.
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige den folgenden Kommentar an

ja — le gris