Die Bundeswehr auf Volksfesten

Kloot Brockmeyer 17.07.2013 13:58 Themen: Bildung Kultur Medien Militarismus
Gehören Tarnung und Geschütz auf ein Volksfest? Sind sie "Kultur", die wir pflegen wollen? Wieso bleibt es still, fehlt Kritik und öffentliche Diskussion? Braucht die Welt Panzer, um sich zu identifizieren und einer Kultur zugehörig zu fühlen? Es sind Menschen, die Sandsäcke füllen und Frieden leben, ganz ohne Kriegsmittel. Wir sollten aktiv werden und gemeinsam als Menschen mit Menschenverstand darüber diskutieren, wie wir Konflikte lösen können. – Warum tun wir es nicht?
Militärisch gestärkte Identität
Die Bundeswehr auf Volksfesten

„Sachsen-Anhalt feiert sich einmal im Jahr selbst“, bemerkt der MDR zum mittlerweile 17. Sachsen-Anhalt-Tag (SAT), diesmal in Gommern. In diesem Jahr zeigte das Bundesland sich zudem ausdrücklich dankbar. Gewissermaßen war es eine Pflicht, dem beständigen Ernst der Hochwasserlage entsprechend, den dreitägigen Festtag entweder ganz ausfallen zu lassen oder eben das Motto zu ändern – von „kunterbunt und einfallsreich“ zu „Sachsen-Anhalt dankt“. Allemal ehrenwert, fragte sich dennoch, wer wem wie, wofür, warum und in welchem Maße dankte. Misst man den Dank an Raum und Präsenz der Beteiligten des SAT, sollte man stutzen – größter Einzelaussteller war die Bundeswehr.

„Gommern feiert feucht und fröhlich“, titelte die Volksstimme am 1. Juli, nicht ganz frei von Sarkasmus in Anbetracht des überstandenen Ausnahmezustands des Landes durch das Hochwasser. Bürgermeister der „Einheitsgemeinde“ Gommern Jens Hünerbein war laut Programmheft stolz, „das größte Volksfest unseres Bundeslandes ausrichten zu dürfen“ und rief zum Jubeln auf: „Hier geben wir nicht nur ein Bild unserer Region wieder, sondern stellen unser schönes Bundesland Sachsen-Anhalt mit seinen zahlreichen historischen wie auch gegenwärtigen Fassetten wunderbar dar.“
Auch Reiner Haseloff, Ministerpräsident mit angekratztem Image, sieht den SAT als Stärkung der Landesidentität, in dem er „jedes Jahr eine andere bemerkenswerte Seite Sachsen-Anhalts in den Blickpunkt der Öffentlichkeit“ rückt und „die ganze Fülle unserer kulturellen Vielfalt erlebbar“ macht. Vornehmlich die „besondere Dynamik“ im Kulturbereich solle Ausdruck finden, nicht zuletzt mit der Stilisierung des Ortsschilds zur „Einheizgemeinde“. Identität, Kultur, Bemerkenswertes also. Nach dem Dank, versteht sich.

Die Feierei wurde nun wiederholt „friedlich und solidarisch“ wahrgenommen, die kommentierende Bevölkerung empfand sie teils als die „bisher langweiligste“. Von Langeweile war um das Areal am Kulk allerdings nichts zu spüren. 200.000 Menschen waren dabei. Sie durften sehen und staunen, was die Identität und Kultur Sachsen-Anhalts zu einem Großteil auszumachen scheint: Dingo II, uniformierte Teddybären und bastelnde SoldatInnen. Die Bundeswehr schien weder Kosten noch Mühen zu scheuen: Eine eigene Meile zur „Nachwuchsgewinnung“ informierte mit einem Aufgebot an Gefährt und Personal über die sogenannte Friedenssicherung im Ausland, Noteinsätze im Inland und die „Symbiose“ von Bundeswehr und Umweltschutz. Auch die Vorstellung „Arbeitsplatz Bundeswehr” sei laut Programmheft nicht zu kurz gekommen.
Kinder kletterten in Panzer, bauten Windmühlen mit militärischer Hilfe und durften sich an Camouflage so weit das Auge reicht gewöhnen. Die Bundeswehr bewies ihre Qualitäten als Entertainer und wichtiger – als „attraktiver Arbeitgeber“. Ist das alles Kultur, die wir pflegen wollen? Gehören Tarnung und Geschütz auf ein Volksfest? War das schon immer so?

„Karriere mit Zukunft – Wir. Dienen. Deutschland.“, steht auf Bundeswehr-Bullis. Dieses „Wir“ hat seit der Aussetzung der Wehrpflicht 2011 allerdings ganz andere Konturen bekommen und die „Realität bei der Nachwuchsgewinnung für die Bundeswehr und das THW verändert“, bemerkt Ulrich Karsch, ein Kapitän zur See vom Karrierecenter der Bundeswehr. Man könnte es Krise nennen. Die Freiwilligkeit des Wehrdienstes hat die Bundeswehr in ziemliche Bedrängnis gebracht. Alltag ist seitdem auch für das „Unternehmen Bundeswehr“: Konkurrenz auf dem freien Markt. Der Druck scheint immens. Ob Schule, Wirtschaftsbetrieb oder eben Volksfest. Die SoldatInnen präsentieren sich bürgernah, familienfreundlich, umweltbewusst – menschlich. Doch für was stehen sie?

Auch SoldatInnen sind Menschen. Das haben Tausende von ihnen erst kürzlich bei der Begegnung mit dem Hochwasser bewiesen, mit Händen und Füßen, Mitgefühl und Tatendrang. Ihnen gleich taten es Tausende, die mehr oder weniger weit weg vom Dunstkreis der Bundeswehr leben. Laut Statistik sind dies in Sachsen-Anhalt vor allem arbeitslose, ältere oder schon abgewanderte. Es ist das viertletzte Bundesland bei der Arbeitslosenquote (10,7%). Seit 1990 sind 19% der Einwohner weggezogen. In 20 Jahren wird Sachsen-Anhalt die älteste Bevölkerung in Europa prognostiziert.

Beste Voraussetzungen für „Alternativen“ bei diesen trüben Aussichten. „Major Thorsten Loch stellte fest, dass die Bundeswehr bei ihrer Nachwuchsgewinnung immer dann erfolgreich gewesen sei, wenn sie sich als attraktiver Arbeitgeber präsentieren und soziale Aufstiegsmöglichkeiten anbieten konnte.“ Klingt logisch. Und um genügend Bewerber für den zeitlich befristeten Dienst zu sichern, wollten die Karrierecenter (!) der Bundeswehr auch zivilberufliche Aus- und Weiterbildungsangebote sowie verlässliche Anschlussperspektiven bieten.
Man macht sich Gedanken und strukturiert um: Unter dem Schlagwort „Heimatschutz“ werden seit einer Dekade neue Einheiten unter das Volk gebracht – sogenannte „Regionale Sicherungs- und Schutzkräfte“ (RSUKr) erschließen lokale Standorte, unter anderem zum Schutz in Notfällen und Katastrophen. In der Reservistenzeitschrift »loyal« wird allerdings klargestellt, dass sich die neuen Einheiten nicht als ausgeschriebene Schutz- und Katastrophenhelfer sehen: „Statt sich wie bisher in Feuerbekämpfung, ABC-Schutz oder Flugabwehr zu üben, steht für die RSUKr wieder der klassische militärische Auftrag im Mittelpunkt.“ (Erinnert das nicht an patriotisch motivierte Freikorps zu Napoleons Zeiten – noch interessanter neben dem Anlass der Bewerbung Gommerns für das Landesfest: es ist der 200. Jahrestag des ersten erfolgreichen Gefechts in den Befreiungskriegen 1813 bis 1815.) Wie also lautet der klassische militärische Auftrag?

Absurde Normalität: Geschütz, Gefährt und Technologien der Zukunft – für den Krieg, nicht den Frieden. Konflikte sind Alltag und menschlich. Wie man sie löst, ist entscheidend. Die Geschichte hat uns gelehrt und bis heute steht der gesunde Menschenverstand und mit ihm die Einsicht: Gewalt kann keine Lösung sein, schon gar keine militärische. Zumal in Zeiten, in denen unser Bezug zu ihr durch unbemannte Fuhrwerke und weit entfernte Berichterstattung nahezu verloren geht. Millionen von Menschen lassen ihr Leben, während wenige nicht besser wissen, ihre Konflikte zu lösen als im Kampf. So ist nur allzu nachvollziehbar, dass sich Vereine wie die Bundeswehr gewaltfreier Manieren verwehren, untergraben sie doch ihre grundsätzliche Legitimität und damit Existenz überhaupt. Wieso nur aber bleibt es still, fehlt Kritik und öffentliche Diskussion? Braucht die Welt Panzer, um sich zu identifizieren und einer Kultur zugehörig zu fühlen?

Das Feld ist weit, die Probleme vielfältig, nur die öffentliche demokratische Auseinandersetzung fehlt – Krieg ist allgegenwärtig und nicht selten Strategie. In zunehmenden Maße deshalb, weil er sich lohnt. Krieg ist ein Geschäft von Minderheiten. Volksfesten Tor und Tür für diese zu öffnen, ist fahrlässig. Sie werden militarisiert, Gewalt verharmlost und als probates Mittel zur Konfliktlösung in den Köpfen der Menschen verankert, die zuschauen, feiern und danken. Dahinter steckt vieles – vor allem Psychologie. Sollten wir nicht langsam durchschauen und hinterfragen? Müssen wir diese Art „von oben“ annehmen, Konflikten weltweit zu begegnen? Zielt darauf fußende Sicherheitspolitik wirklich auf Sicherheit und Friedenssicherung auf Frieden?

Mit einem Dingo II trägt man weder zur Erhaltung von Kulturgut noch zur Sicherung des Friedens oder zum Befüllen von Sandsäcken bei. Es sind Menschen, die keine Kriegsmittel benötigen, um Säcke zu füllen und Frieden zu leben. Sollten wir nicht aktiv werden, zumindest gemeinsam und als Menschen mit Menschenverstand darüber diskutieren, wie wir Konflikte lösen? – Wir sollten. Warum nur tun wir es nicht?

Friedens- und Konfliktforschende Magdeburgs
07.07.2013
(Text: Kloot Brockmeyer)
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Ergänzungen

Danke

Flutopfer 18.07.2013 - 06:33
Als Betroffener des Hochwassers kann ich nur sagen: Danke Bundeswehr und Feuerwehr und THW und freiwillige Helfer!
Aber das ist politische wohl auch nicht korrekt und dürfte vom erbsenzählenden Kleinbürger Klöte Brockmeyer kritisiert werden. Anstatt Korinthen zu Kacken, hätte Brocki vielleicht mal mit anpacken sollen, aber dann wäre wohl unvermeidbar der Realitätsschock gekommen, der Linksintellektuelle gerne mal heimsucht, wenn sie ihre geschlossenen Zirkel verlassen und sich unter das gemeine Volk mischen.

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dingo 2 — realist

Trugschluss — @realist

die Würde des Menschen — Rainer Wolf

Soldaten sind Mörder! — Soldaten sind Mörder!

@Sauberer Wolf — Flutopfer

@Demokrat — Peter Lustig

@Peter Lustig — Demokrat

@Peter Lustig — Demokrat

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