Die Dessauer Realität!

Solidarität gegen dessauer Zustände 19.01.2012 17:13 Themen: Antifa Antirassismus Repression

Rassismus, Volksmob und falsch verstandener Aktionismus? – Die Dessauer Realität!


In Dessau hat sich in den letzten Wochen und Tagen eine Situation entwickelt, die nicht nur befähigt ist rassistische Tendenzen innerhalb der Bevölkerung zu befördern, sondern auch die politische Einflussnahme antifaschistischer Strukturen über die Stadt hinaus nachhaltig zu schädigen und auf Dauer zu diskreditieren.
Ausgehend von einem willkürlichen Einsatz polizeilicher Gewalt, forderte eine augenscheinlich „unpolitische“ gewaltsame Auseinandersetzung den Zorn des vermeintlichen Dessauer „Volkes“ herauf. Ein anschließender Brandanschlag auf das dortige Polizeirevier scheint als finale Eskalation einer Kette von Geschehnissen, die im Grunde nichts miteinander zu tun haben, sich aber dennoch zu befördern scheinen.

Es begann mit einem Slogan!

Der Polizeieinsatz anlässlich des 7ten Jahrestages des bis heute ungeklärten Todes Oury Jallohs im Dessauer Polizeigewahrsam, war Ausgangspunkt einer vorrangig medial geführten Debatte rund um die Themen Asylpolitik, rassistische Tendenzen innerhalb der Bevölkerung, sowie rassistisch/ krimineller Vorgänge innerhalb des Polizeiapparats vor Ort.

Das eskalierende Verhalten seitens der eingesetzten BeamtInnen am 07. Januar 2012 entlud sich an der von einigen TeilnehmerInnen vertretenen These „Oury Jalloh das war Mord!“. Dass diese Aussage bereits im Vorfeld der Demonstration durch gerichtliche Entscheidungen vom Recht auf Meinungsfreiheit gedeckt war und außerdem seit 7 Jahren akzeptierter Slogan auf allen bisherigen Gedenkveranstaltungen an Oury Jalloh hingenommen wurde, hinderte die leitenden BeamtInnen in der PD-Sachsen-Anhalt-Ost nicht daran von Beginn an mit körperlicher Gewalt gegen diese Aussage und damit auch gegen die Gedenkdemonstration insgesamt vorzugehen.
Unrühmliches Ende der Demonstration war der Zusammenbruch des Anmelders und maßgeblichen Initiators der Initiative Oury Jalloh, Mouctar Bah, der nach einem vermeintlichen Kopfstoß eines behelmten Beamten bewusstlos ins Krankenhaus eingeliefert werden musste.

Die inhaltliche Auseinandersetzung der Geschehnisse rund um diese Demonstration zeigte bereits am darauffolgenden Tag die „Empörung“ auch innerhalb der Dessauer Bevölkerung hinsichtlich dieses Polizeieinsatzes. Allerdings entluden sich die Meinungen diverser LeserInnen von MZ und anderen Onlineportalen nicht etwa in Richtung der Einsatzleitung der Polizei, sondern viel mehr abstrakt in Richtung „nicht deutscher“ DessauerInnen und deren Grad der Integrationswilligkeit in die „deutsche“ Kultur. So wurde die Gewalt der Polizei gegenüber einer Gedenkveranstaltung verklärt und richtete sich somit gegen die Opfer eines überall spürbaren deutschen Alltagsrassismus und nicht zuletzt gegen die TeilnehmerInnen der Gedenkdemonstration selbst.

Wenn sich eine rassistische Erlebniswelt bestätigt fühlt – Ausländer raus als akzeptierte Meinung!?

Gerade einmal 9 Tage nach den skandalösen Geschehnissen gegen das Gedenken an den in deutschem Polizeigewahrsam ungeklärt verstorbenen Oury Jalloh, wurde offensichtlich woran und viel mehr noch in welchem Ausmaß sich die „Empörung“ des Volksmobs entladen kann.
So war es eine bisher nicht aufgeklärte körperliche Auseinandersetzung zwischen einem in den Medien als „Schwarz-Afrikaner“ bezeichneten Menschen und einem Spieler der ASG Vorwärts Dessau, die wenige Stunden später eine mind. 300 Personen starke Demonstration nach sich zog, bei der Sprechchöre wie beispielsweise „Deutschland den Deutschen - Ausländer raus“ anscheinend bewusst überhört worden waren.

Was war geschehen?

Den Medien zufolge schritt ein Spieler (und Jugendtrainer), des in der Vergangenheit durch rechtslastiges Fan- und Mitglieder-Klientel aufgefallenen Fußballvereins ASG Vorwärts Dessau, bei einem Streit ein, der sich gegen Mittag, des 16.01.2012 in der Dessauer Innenstadt, zwischen einem aus dem Senegal stammenden Menschen und einem „Deutschen“ um dessen Handy ereignet haben soll. Im weiteren Verlauf wurde der besagte Fußballer im Kopfbereich durch ein Messer lebensgefährlich verletzt und musste auf die Intensivstation eingeliefert werden.
Die Tatsache, dass als vermeintlicher Täter ein Mensch mit dunkler Hautfarbe ermittelt wurde, lies eine Mobilisierungskampagne starten, die in weniger als 8 stunden bis zu 300 Menschen zu einer Demonstration mobilisieren konnte, bei der bis heute keine Informationen über die Identität der AnmelderIn oder auch des Mottos des Aufzugs in Erfahrung gebracht werden konnte.

Klar ist nur eins, der Versammlungsleiter der Demonstration ist ein in der Vergangenheit durch rechts motivierte Gewalt-Delikte aufgefallener ASG-Funktionär und Alt-Hooligan, der dabei u.a. von Aktivisten der regionalen Neonaziszene unterstützt wurde.
Neben einem kurzen Demoaufruf über Facebook und anderen sozialen Netzwerken waren es privat geschaltete sms-Ketten und nicht zuletzt der Twitter Account vom neonazistischen Aktionsbüro Leipzig und vom Freien Netz, die zu dieser Demonstration aufriefen. Zu hinterfragen ist des weiteren die Intention dieser Demonstration. So scheint das reflexartige „empört“ sein über eine Gewalttat eines „Schwarz-Afrikaners“ das einzige verbindende Glied dieser Veranstaltung zu sein. Die Frage ob eine solche Demonstration stattgefunden hätte, wäre der vermeintliche Täter ebenfalls „Deutscher“ gewesen, beschäftigt im Nachgang auch einzelne kritische TeilnehmerInnen in sozialen Netzwerken. Die Mehrheit ist sich aber einig: „so einer hat hier nichts zu suchen.“
So ist wenig verwunderlich, dass Sprechchöre wie „Deutschland den Deutschen - Ausländer Raus“ von der gesamten Demonstration zwar vernommen, aber eben nicht kritisch hinterfragt, sondern eher kollektiv überhört oder gar geteilt wurden. Auch die sichtbare Beteiligung von regionalen Neonazis wie Alexander Weinert (Anmelder des jährlich Neonaziaufmarsches anlässlich der Bombardierung Dessaus) an der Organisation vor Ort wurde akzeptiert.

Auf Nachfragen des MDR zu skandierten Rechts„extremen“ Parolen äußerte sich Wolfgang Berger, Einsatzleiter Polizeirevier Dessau-Roßlau, folgender maßen: „Wir haben zum gestrigen Einsatz dazu nichts festgestellt. Wir haben es heute aus der Öffentlichkeit erfahren und haben deswegen auch ein Strafverfahren wegen Volksverhetzung eröffnet - gegen unbekannt zur Zeit“.

Dass gerade vor dem Polizeirevier die Polizei davon nichts mitbekommen haben will, obwohl es sogar von Kameras des MDR und anderer Medien aufgenommen werden konnte, passt in das Bild und zu den Erfahrungen, die mit dem Dessauer Polizeiapparat in Verbindung mit rechten und rassistischen Straftaten in der Vergangenheit gemacht werden musste.

Wem nützt ein Brandanschlag als vermeintlicher Ausdruck linker Gewalttäter und "Extremisten" in Verbindung mit dem Tod Oury Jallohs?

Als bisher letzte Eskalation kann ein Brandanschlag bezeichnet werden, der in der Nacht vom 17. auf den 18. Januar mittels Molotow-Cocktail auf einen Seiteneingang des Dessauer Polizeireviers verübt wurde und daneben der Schriftzug 'Oury Jalloh - das war Mord' hinterlassen wurde. Erste Versuche diese Aktion einzuschätzen fallen mehr als schwer. Fakt ist, dass es diesen Anschlag gegeben hat und dieser die Auseinandersetzung um Rassismus innerhalb der Dessauer Bevölkerung und viel mehr noch innerhalb des Dessauer Polizeiapparats jetzt überlagert und fähig ist eine seriöse Aufarbeitung darüber zu lähmen. Des weiter kann eine solche Tat nicht nur zu dieser Zeit, entweder als gezielte Provokation und als Versuch eines Lenkens in Anti-Linke Stimmungsmache gewertet werden oder viel mehr und damit noch schlimmer als dumme und unreflektierte Aktion von Menschen, die ihren Aktionismus weder einschätzen, noch die daraus resultierenden Folgen abwägen können.

Was kommt jetzt?

Ziemlich sicher ist, dass es den wenigen Menschen die in Dessau versuchen antirassistisch und antifaschistisch aktiv zu sein nun auf keinen Fall leichter fallen wird. Vielmehr zeigen die aktuellen Sachverhalte die Brisanz der lokalen Verhältnisse. Ob es nun ein Spektren übergreifender rassistischer Volksmob aus Nazis, Hooligans und ganz „normalen“ Bürger_Innen ist, oder auch die Situation innerhalb einer Provinz aktiv zu sein in der neben rassistischen Bevölkerungsteilen die Polizei selbst in den Verdacht gerät rassistisch motivierte Morde zu begehen und diese möglicherweise erfolgreich zu vertuschen.
In Dessau offenbart sich derzeit eine Situation, die politischen Aktionismus fast unmöglich macht. Besonders nach einem Brandanschlag, wo Überlegungen nach dessen Urheberschaft mehr Fragen als Antworten aufwerfen.

Am Samstag, den 21.01.2012 soll die nächste Volksmob-Demo stattfinden und in weniger als 2 Monaten, am 10. März 2012, dann der jährliche Naziaufmarsch. Nach der letzten Diskreditierung antifaschistischer Politik-Ansätze scheinen diese Aufgaben der nächsten Zeit nur schwer zu überwinden sein.




Dieser Text soll sowohl als Klarstellung der eigentlichen Geschehnissen in Dessau verstanden werden, aber auch als Soliaufruf dienen und darf deshalb ausdrücklich weiterverbreitet und auf eure Blogs und Seiten gestellt werden.
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Ergänzungen