Dresden: Offener Brief gegen das Demokratieverständnis der Gagfah

addn.me 23.11.2012 11:57 Themen: Antirassismus Blogwire Soziale Kämpfe
Die Kritik am Vorgehen des Immobilienunternehmens Gagfah in Dresden reißt nicht ab. Während in den letzten Monaten vor allem der Zustand der Wohnungen und zum Teil drastische Mieterhöhungen für Empörung sorgten, zeigt das Beispiel von zwei Forschern des Max-Planck-Institutes in Dresden, dass auch rassistische Vorurteile bei der Vergabe von Wohnraum keine Seltenheit sind. Doch das ist nicht die einzige Kritik an einem Unternehmen, welches vor mehr als sechs Jahren von einer Stadtratsmehrheit aus CDU, FDP und Teilen der Linken (!) verkauft worden war und Dresden damit über Nacht zur ersten schuldenfreien Großstadt in Deutschland werden ließ.
Nachdem in dieser Woche die Sächsische Zeitung darüber berichtet hatte, dass sich die Gagfah geweigert haben soll, zwei Forschern aus Polen und Italien in Dresden eine Wohnung zu vermieten, hat sich das Dresdner Netzwerk "Asyl, Migration, Flucht" gemeinsam mit zahlreichen Initiativen und Gruppen in einem offenen Brief an das Luxemburger Unternehmen gewandt. Darin ging es noch einmal um ein Transparent mit der Aufschrift "Die Würde des Menschen ist unantastbar. Bewegungsfreiheit, Bleiberecht, freie Wohnungswahl. Gleiche Rechte für alle", welches das Netzwerk am Tag der NPD-Brandstiftertour an einem als Asylsuchendenunterkunft genutzten Gebäudes auf der Florian-Geyer-Straße 48 angebracht hatte.

Trotz vorheriger Absprachen habe die Leitung der Asylsuchendenunterkunft das Transparent am Tag der Proteste vor dem Wohnheim wieder abhängen lassen, da der Text nach Aussage der Gagfah eine Provokation dargestellt habe. Im Fall einer Weigerung war damit gedroht worden, das Banner mit Hilfe der Polizei zu entfernen. Die Pressesprecherin der Gagfah, Bettina Benner, hatte die Entscheidung mit dem Verweis auf das geltende Versammlungsrecht begründet, das Unternehmen "wolle Neutralität wahren", so Benner gegenüber der Dresdner Neuesten Nachrichten. Die Unterzeichner des offenen Briefes kritisieren das Vorgehen als "unangebracht" und zeigten sich "erschrocken [...] über ein derartiges Verständnis von Grundrechten". Es sei "empörend", dass damit wie von der NPD am Tag ihrer Kundgebung gefordert, Flüchtlingen und Asylsuchenden "wesentliche Grundrechte vorenthalten" werden und forderten das schon mehrfach in die Kritik geratene Unternehmen zu einer Stellungnahme auf.

Doch das ist nicht der einzige Kritikpunkt an einem Unternehmen, welches deutschlandweit über rund 150.000 Mietwohnungen in mehr als 300 Städten verfügt. Gegen einzelne Mitarbeiter der Gagfah hatte die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) vor knapp einem Jahr wegen des Verdachts auf Insiderhandel mit Aktien des Unternehmens Anzeige erstattet. Danach wirft die ermittelnde Düsseldorfer Staatsanwaltschaft insgesamt fünf Mitarbeitern vor, sich durch "kursrelevante Informationen" finanzielle Vorteile verschafft zu haben. So hatte der ehemalige Chef der Gagfah, William Brennan, wenige Monate zuvor Aktien im Wert von rund 4,7 Millionen Euro verkauft. Kurz danach war bekannt geworden, dass das Unternehmen von der Stadt Dresden wegen Aushebelung der vertraglich festgelegten "Sozialchartas" auf insgesamt eine Milliarde Euro verklagt worden war. Daraufhin waren die Aktien des Unternehmens zeitweise in den Keller gerutscht.
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Ergänzungen

Herzlich willkommen?

droobs 24.11.2012 - 17:05
Herzlich willkommen?

Von Karin Großmann

In Großenhain wehren sich Anwohner gegen ein Heim für Asylbewerber. Pfarrer Dietmar Pohl stößt an seine Grenzen mit seinen Vermittlungsversuchen.

Niemand hat Pohl geschlagen, und trotzdem fühlt er sich so. Der Schlag kam aus heiterem Himmel. Aber vielleicht ist der Himmel nicht heiter, vielleicht ist das der Irrtum, und vielleicht tut es deshalb so weh. „Die Stadt hat ihre Unschuld verloren“, sagt Dietmar Pohl, Pfarrer an der Marienkirche in Großenhain. Seit über zwei Wochen protestieren Einwohner gegen den Zuzug von fünfzig Asylbewerbern. Die Einwohner protestieren sehr nachdrücklich. Sie sammeln auch Unterschriften. Einige zogen mit Fackeln auf. Neulich glaubte sich das Rathaus mit Polizeieinsatz vor den Bürgern schützen zu müssen.

Pohl ist ein mittelgroßer Mann mit dichtem, dunklem Haar auf dem Weg zum Grau, von Natur aus ist er ein fröhlicher Mensch und hat schon manchen Konflikt mit Scherz entschärft. Jetzt versagt sein Talent. Es prallt ab an einem Viertel, das Kupferberg heißt und zu den feinsten am Rand des Stadtzentrums zählt. Man sieht den Einfamilienhäusern an, wie viel Liebe da drin steckt. Auch die Pflastersteine wirken wie frisch poliert. Auf den Beeten und Rasenstücken liegt kaum noch ein welkes Blatt. Rosenbüsche wurden in Säcke eingemümmelt zum Schutz vor dem Frost. Die roten Beeren der Berberitzen leuchten über Zäune, die aus Sandsteinquadern bestehen, aus Holzlatten oder kunstvoll verschnörkeltem Eisen; meist sind es niedrige Zäune, die mehr schmücken als schützen. Vor mancher Tür steht ein lachender Pilz oder eine gestreifte Holzkatze mit einem „Willkommen“-Schild. Etliche Bewohner sind kürzlich erst fertig geworden mit Bauen. Dem einen oder anderen Haus sieht man nicht nur die Liebe an, die darin steckt, sondern auch das Geld.

Für einen Pfarrer, wen wundert’s, hat immer die Liebe den größeren Wert, und dass nicht jeder Mensch willkommen ist auf dem Kupferberg, das macht Pohl so ratlos. Er nimmt es beinah persönlich. „Die Tornadoschäden haben wir behoben“, sagt er, „aber ich weiß nicht, welche Schäden bleiben nach dem Sturm, der uns jetzt durcheinanderwirbelt.“ Die Welt mit ihrer überschaubaren Aufteilung in Gute und Böse, Rechte und Linke, Zufriedene und Bedürftige hat sichtbare Risse gekriegt. Denn der Protest kommt nicht nur von jungen Männern, die ihre Gesinnung öffentlich vor sich hertragen. Die nutzen die Ungunst der Stunde. Der Protest kommt auch von Mitgliedern der eigenen Kirchgemeinde. „Mich hat manche Reaktion nicht überrascht, aber die Reaktion von manchen“, sagt der Pfarrer. Einen Augenblick lang lächelt der 53-Jährige dem Wortspiel nach, das Lächeln gefriert gleich wieder. Dietmar Pohl kam vor zwei Jahren aus Zabel nach Großenhain, er arbeitete auch als Notfallseelsorger. So verletzt und hilflos wie jetzt hat er sich selten gefühlt. Was nützen Argumente, wenn es auf der anderen Seite nur heißt: Nein. Nein, die wollen wir hier nicht.

Die fünfzig Asylbewerber sollen noch vor Jahresende in das Hotel „Stadt Dresden“ auf dem Kupferberg einziehen. Der weiße Neubau war bis eben geöffnet, Erdgeschoss und erste Etage mit dreißig Zimmern und Terrasse. „Unsere Gästezimmer sind komfortabel und gemütlich eingerichtet und erfüllen alle Wünsche“, so warb das Hotel im Sommer. Die Asylbewerber hätten gern überlebt in den Ländern, aus denen sie kommen, in Pakistan und Afghanistan beispielsweise. Im Hoteleingang steht ein Regaltisch mit gefärbten Ahornblättern. Falscher Efeu rankt sich von Brett zu Brett. Die Servietten darauf liegen exakt gleich, immer mit der roten Blüte in der herunterhängenden Ecke. Die Betten in den Zimmern, man sieht es durchs Fenster, sind frisch bezogen, mit Handkantenschlag im Kopfkissen. Fehlt nur das Schokotäfelchen. „Auf Wunsch werden Musik und Tanz, Alleinunterhalter, Artisten oder Weinverkostungen und andere Programmhöhepunkte vermittelt“, warb das Hotel, bevor das „Geschlossen“-Schild in der Tür hing.

Für die fünfzig Asylbewerber sollen drei Kochherde und drei Spülen im Keller installiert werden. Alles ist gesetzlich geregelt: sechs Quadratmeter für den Einzelnen und Anspruch nur auf ein eigenes Bett. Mitunter zieht sich die Entscheidung über einen Asylantrag bis zu drei Jahre hin.

Dietmar Pohl nennt das Asylgesetz menschenverachtend. Aber das ist es nicht, was den Konflikt schürt. Der Pfarrer gesteht auch zu, dass manches „blöd gelaufen ist“, wie er sagt. Die Einwohner erfuhren von den Plänen aus der Zeitung. Es sieht fast so aus, als hätte sich die Verwaltung wegducken wollen; als hätte sie gehofft, dass keiner merkt, wer auf den Kupferberg zieht. Hätte eine vernünftige Informationspolitik die Proteste verhindert? Der Pfarrer zieht die Augenbrauen hoch, er wiegt skeptisch den Kopf. Vielleicht sind das doch nur Ausflüchte.

Eine Schülerin, erzählt er, hat es ihm im Religionsunterricht ins Gesicht gesagt: „Ich hasse Ausländer.“ Pohl unterrichtet in einer zehnten Klasse in der Mittelschule auf dem Kupferberg. In eindringlichen, bildhaften Sätzen erzählt er eine Geschichte von einer Frau, die mit ihrem Baby vor Granatenbeschuss flieht und nichts hat außer sich und dem Kind; es ist die Geschichte, die er seiner Schülerin erzählte. Er hatte ihr etwas von der Lebensangst dieser fremden Frau vermitteln wollen; „die hat viel mehr Angst als jeder von uns hier“, sagt Pohl. Die Schülerin, sagt er, hat nur mit den Schultern gezuckt. „Muss denn erst was passieren?“, hat sie hinzugefügt.

Dabei hat die Stadt Großenhain bisher kaum schlechte Erfahrungen gemacht mit Fremden oder mit dem Fremden. Es gibt einen Döner-Imbiss, einen Asia-Imbiss und einen Berjoshka-Laden mit russischem Sekt, einen Western-Saloon gibt es auch. Die Citroën-Werkstatt verspricht „Le Service“, im Kino läuft „Breaking Dawn“, und der Schlosskeller empfiehlt Carpaccio vom Strauß, was wirklich nicht jedermanns Sache sein dürfte. Die Spätaussiedler aus ehemaligen Sowjetrepubliken bleiben meist unter sich. Ein stämmiger Mann aus Kasachstan arbeitet als Hausmeister in der Marienkirche. An dem Abend, als Stadt und Kirche eingeladen haben zur Diskussion, steht der Kasache mit dem Klingelbeutel am Ausgang. Dietmar Pohl hat mit einigem Hintersinn um eine Kollekte gebeten: Er will Deutschlehrbücher kaufen für die Asylsuchenden; denn Unterricht steht Erwachsenen im ersten Jahr noch nicht zu.

Wenn die Stimmung in der Kirche an diesem Abend zu hoch schwappt mit Pfiffen und Klatschen, steht der Pfarrer kurz auf und legt den Zeigefinger an die Lippen. Tatsächlich beruhigt sich das Auditorium für einen Moment. Die Atmosphäre ist bedrückend gemischt aus Angst, Wut, Hass, Sorge, Verachtung, auch Nachdenklichkeit. Obwohl das Rund sehr gefüllt ist, klingt der Gesang am Anfang dünn. Die Redner auf dem Podium vertreten Kirche, Stadt und Landkreis und schlagen einen Ton an, wie er bei Polizeischulungen wohl als „deeskalierend“ gelehrt wird. „Es geht um fünfzig Bewerber, um eine größere Schulklasse, nicht mehr und nicht weniger“, sagt einer von ihnen. Und jeder versichert, dass er die Sorgen der Anwohner ernst nimmt. Bloß nicht noch Öl ins Feuer gießen. Es lodert ohnehin. Mancher Großenhainer, der in den letzten Tagen seine Bedenken öffentlich äußerte, fühlt sich zu Unrecht in eine rechte Ecke gestellt. Andere nehmen den Platz billigend in Kauf oder wählen ihn sogar bewusst und reden die Politik gleich prinzipiell in Grund und Boden. Das tun nicht nur die ortsbekannten Krakeeler. „Solche kenn ich nicht“, sagt Dietmar Pohl. Aber er kennt die Söhne und Töchter aus gut situierten Familien. Sie lernen gerade, dass Demokratie nicht Mitsprache immer und überall bedeutet, sondern Interessenvertretung durch gewählte Repräsentanten; offenbar eine schwierige Lektion.

Pohl kennt auch die Argumente. Dass ein Asylbewerberheim in dieser Lage den Wert der Wohngrundstücke schmälere und sozusagen eine Enteignung der Besitzer bedeute. Dass die Menschen aus armen Ländern womöglich einen Schock bekämen angesichts des Reichtums in dieser Gegend und meinten, das stünde auch ihnen zu. Dass die Unsicherheit wachse für Kinder, die an dem Haus vorbei zur Schule müssten. In der höflichen Variante laufen die Argumente gegen das Asylbewerberheim auf dem Kupferberg alle auf einen Satz raus: Nichts gegen Ausländer, aber bitte nicht bei uns vor der Tür. „Hier wache ich!“, warnt das Porträt eines Schäferhundes neben dem Klingelknopf.

Pfarrer Pohl kann lange die Ruhe bewahren, und falls ihm das Wort Scheinheiligkeit in den Sinn kommt, behält er es für sich. All die Tage hat er versucht zu vermitteln. Aber irgendwann platzt es aus ihm heraus. „Wir nehmen nicht Verbrecher, wir nehmen normale Menschen auf!“, sagt er. „Meinen wir wirklich, dass sie sich in Abrisshäusern, in Turnhallen oder auf Industriebrachen wohler fühlen als wir?“ Die Zuständigen hatten mit einem Makler verhandelt, als sie kurzfristig eine Bleibe finden mussten für fünfzig Asylbewerber. Der Makler hatte das Hotel angeboten, das mit dem Kronentor des Dresdner Zwingers wirbt. Das Haus war zuletzt ohnehin nicht sonderlich ausgelastet, trotz „First-Class-Standard“ der Duschbäder und Spielkasino gleich nebenan. Der Hamburger Eigentümer verpachtet es nun – mit zuverlässig garantierten Einkünften für die nächsten zwei Jahre. Die Rede ist von 66000 Euro Kaltmiete plus Nebenkosten jährlich.

Das Haus steht noch so, wie es stand, als die letzten Gäste vor wenigen Tagen abreisten. Ein Schild an der Straße winkt den Gästen einen Gruß nach. Auf Wiedersehen!, steht da, auf Englisch, Französisch, Russisch und Italienisch.

 http://www.sz-online.de/nachrichten/artikel.asp?id=3212028

Auseinandersetzungen auch in Hamburg

AKU 03.01.2013 - 17:59
Die Auseinandersetzungen der Mieter_innen des Hamburger Stadtteils Wilhelmsburg mit der GAGFAH sind hier ausführlich dokumentiert:

 http://akuwilhelmsburg.blogsport.eu/mieten-und-wohnen/gagfah/