Gefängnisnation USA

Kurt Sonntag 09.02.2012 19:01 Themen: Antirassismus Blogwire Repression Soziale Kämpfe Weltweit
Seit mehreren Jahrzehnten wandelt sich die US Gesellschaft in eine Gefängnisnation. Ein Viertel aller weltweit inhaftierten Menschen sitzt laut UNO in den USA ein - 2,5 Millionen Gefangene. Dazu kommen noch etwa doppelt so viele, die in anderer Form unter der Kontrolle der Justiz stehen. Diese Grössenordnung hat historisch nur zwei Parallelen: die NS-Zeit und die Stalin-Ära. Ansonsten gibt es keinen Vergleich, was das Einsperren der eigenen Bevölkerung angeht - weder in realen Zahlen, noch im statistischen Verhältnis zur eigenen Bevölkerungsgrösse.
2,5 Millionen Gefangene - überwiegend People Of Color - erwirtschaften in der US-Gefängnisindustrie enorme Gewinne unter Zwangsarbeit. Seit 2011 arbeiten erstmals mehr Afro-Amerikaner_innen in dieser Zwangsindustrie als 1865 - dem Jahr der offiziellen Abschaffung der Sklaverei.

Der Grossteil der US-amerikanischen Gefängnispopulation ist durch Herkunft und Armut gekennzeichnet – nicht-weisse Menschen werden überproportional eingesperrt, meist für Eigentumsdelikte die in direktem Zusammenhang mit sozialer Ausgrenzung und Armut stehen.

Noch immer werden hunderte Gefangene aus den Bürgerrechtskämpfen der 60iger und 70iger Jahre festgehalten und hunderttausende Gefangene in den USA leben z.T. Jahrzehnte unter Isolationshaftbedingungen, die international als Folter gekennzeichnet sind.

Es ist kein Zufall, dass Sozialabbau, Lohnsenkungen und sog. Kriminalitätsdiskurse gleichzeitig ablaufen: bietet es den Herrschenden doch die Möglichkeit, sich jeder sozialen Verantwortung zu entledigen und gleichzeitig die Gewinne für Konzerne zu erhöhen. Nur dadurch ist das Entstehen der Gefängnisnation in den USA innerhalb weniger Jahrzehnte zu erklären. Wenn wir uns dem hier nicht entschlossen entgegen stellen, wird es für viele von uns in den kommenden Jahren ähnlich aussehen, wie für das ausgeschlossene Drittel der USA: ein Leben unter permanter Bedrohung des Freiheitsentzuges unter zementierter Armut.

Nicht von ungefähr macht dieses Modell der Ausbeutung von Gefangenen und der gleichzeitigen rassistischen Abschottung auch in anderen Ländern Schule. Während rund um die EU täglich Menschen bei dem Versuch der Einreise durch das brutale FRONTEX Regime sterben, beginnt auch hier die industrielle Ausbeutung von Gefangenen einhergehend mit der Privatisierung der Gefängnisse. Zwar steht die BRD noch ganz am Anfang dieser Entwicklung, aber die ersten Knäste unter privater Leitung (bei gleichzeitig überwiegend öffentlicher Finanzierung) sind bereits in Betrieb. Das Abschöpfen der Gewinne durch die privaten Betreiber folgt hier derselben neo-liberalen Logik wie in allen anderen Bereichen, in denen Konzerne ehemals staatlich-gesellschaftliche Bereiche übernommen haben.

Für Widerstand haben wir in Europa derzeit jedoch etwas bessere Vorraussetzungen. Wir sind nicht von der gesetzlich geregelten Todesstrafe bedroht. Zwar töten Justiz und Polizei auch hier regelmässig Menschen, müssen das aber noch immer vertuschen oder offiziell ignorieren. In den USA hingegen steht die Todesstrafe als direkte Bedrohung gegen alle, die nicht am gesellschaftlichen Reichtum teilhaben können. Das ist immerhin ein Drittel der Bevölkerung. Während es statistisch bewiesen ist, dass Staatsanwälte und Juries die Todesstrafe ungleich häufiger gegen People Of Color fordern und durchsetzen, haben alle zum Tode Verurteilten eines gemeinsam: sie alle können sich keine qualifizierte Verteidigung leisten und bleiben aufgrund der Gesetzeslage nach ihrer Verurteilung völlig chancenlos, selbst bei erwiesener Unschuld freizukommen.

Nicht nur Armut und ethnische Herkunft, auch politisches Handeln rückt Menschen ins Visier der Justiz. Hunderte Gefangene der Bürgerrechtsbewegungen sitzen seit Jahrzehnten in Haft. Immer wieder müssen Aktivist_innen, ob Umweltschützer_innen, lobalisierungskritiker_innen oder Occupiers mit Gewalt und Repression als Antwort auf ihr Engagement rechnen.

Gefängnisindustrie, Todesstrafe und politische Repression sind keine Randthemen – sie stehen einer Gesellschaft entgegen, die sich gegen Ausbeutung und Unterdrückung, aber FÜR soziale Gerechtigkeit und Menschenwürde einsetzen.

Teil dieser Bewegung, damals wie heute, ist der afro-amerikanische Journalist Mumia Abu-Jamal. Als ehemaliger Pressesprecher der Black Panther Partei in Philadelphia wurde er in einem Schauprozess 1982 zum Tode verurteilt. Er überlebte seine versuchte Ermordung bei der Verhaftung sowie mehrere Versuche des Staates, ihn hinzurichten, weil die weltweite Empörung über dieses Unrechtsurteil immer wieder starke Proteste hervorrief. Amnesty International stufte sein Verfahren als "Bruch internationaler Mindeststandards (...) für faire Verfahren" ein und forderte eine Neuverhandlung - etwas, wovor alle Beteiligten auf der Anklageseite grosse Angst haben. 2011 bestätigte dann sogar.der Oberste Gerichtshof der USA, dass Mumias Verurteilung zum Tode ein Bruch seiner verfassungsmässigen Rechte ist, hielt aber gleichzeitig den Schuldspruch aufrecht. Diese Logik entzieht sich allen, die dieses Verfahren genauer verfolgt haben. Als Akt der "Gnade" will es diese Justiz nun verstanden wissen, den ehemaligen Black Panther nach über 30 Jahren Todestrakt für den Rest seines Lebens im Gefängnis festzuhalten. Am 24. April 2012 wird Mumia voraussichtlich zum 30. Mal seinen Geburtstag in Haft verbringen.
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Ergänzungen

Berlin: Solidaritätsdemo am 21. April 2012

Kurt 09.02.2012 - 19:15
Es reicht! In Washington D.C. werden am 24. April 2012 Menschen als Akt des zivilen Ungehorsams das Justiz-Ministerium besetzen. Sie fordern: FREE MUMIA ABU-JAMAL! STOP THE PRISON NATION!


In Berlin rufen wir alle auf, am Samstag, den 21. April 2012 mit uns auf die Strasse zu gehen.

Wir fordern:

Freiheit für Mumia Abu-Jamal!

Stop the Prison Nation - weg mit der Gefängnisindustrie!

Abschaffung der Todesstrafe überall!

Freilassung der politischen Langzeitgefangenen in den USA!

16:00 - Rosa-Luxemburg-Platz

Abschlusskundgebung gemeinsam mit Aktivist_innen aus den USA vor der US Botschaft am Brandenburger Tor. U.a. hat Harold Wilson, langjähriger Todestraktinsasse und über 17 Jahre Mitgefangener von Mumia Abu-Jamal, seine Teilnahme zugesagt.

(SZ) EU liefert weniger Hinrichtungs-Gift

an die USA 09.02.2012 - 21:44
Von Guido Bohsem, Berlin

Die USA werden sich einen zentralen Wirkstoff für die Hinrichtungsspritze künftig nicht mehr in der EU beschaffen können. Nach Informationen der "Süddeutschen Zeitung" wird eine Ausfuhr von Thiopental-Natrium nur noch mit einer Sondergenehmigung möglich sein. Nun steht die US-Justiz vor einem großen Problem.

weitere Termine

Andrea 09.02.2012 - 22:29
...im Rahmen dieser Kampagne für Mumias Freiheit und die Freiheit *aller* politischer Gefangenen, gegen die Todesstrafe, gegen den Rassismus in der Justiz und den im Artikel angeprangerten gefängnis-industriellen Komplex findet Ihr Termine vieler Veranstaltungen unter

www.freiheit-fuer-mumia/termine

oder

www.18maerz.de

Wenn Ihr selber was organisieren wollt mailt für Material und/oder zur Veröffentlichung Eurer Termine an

 kontakt@freiheit-fuer-mumia.de

oder

 webmaster@18maerz.de

lesen (und recherchieren) lernen

selber Hahaha 10.02.2012 - 20:54
Der im Artikel angegebene historische Vergleich ist statistisch gesehen in Bezug auf Inhaftierungsraten zutreffend.

Zitat:
"Diese Grössenordnung hat historisch nur zwei Parallelen: die NS-Zeit und die Stalin-Ära. Ansonsten gibt es keinen Vergleich, was das Einsperren der eigenen Bevölkerung angeht - weder in realen Zahlen, noch im statistischen Verhältnis zur eigenen Bevölkerungsgrösse."

Es geht also sehr wohl um den relativen Vergleich unter Bezug auf die Bevölkerungsgröße: den sog. Gefangenen-Quotienten.

USA: 311.484.627 Einwohner_innen (Stand 4. Juni 2011)
Gefangenenzahl 2011: 2,5 Millionen Inhaftierte und 4,2 Millionen weitere in Freigang, Bewährung oder mit Meldeauflagen - alle Daten veröffentlicht von der US Regierung

UdSSR 1939: ca. 190 Millionen Einwohner_innen
Gefangenenzahl damals mehrere Millionen, ist nicht eindeutig belegt und umstritten

(dazu aktuell) Russische Förderation heute: ca. 143 Millionen Einwohner_innen
Gefangenenzahl heute: ca. 900.000

Die NS Daten darfst du dir gerne selbst mal raussuchen. Ist sehr erschreckend.


Übrigens noch ein paar Zahlen: das so oft für seine Menschenrechtsverletzungen beschriebene China hat eine ca. 3,5 mal so große Bevölkerung wie die der USA, sperrt aber nur ungefähr die Hälfte ein: 1,3 Millionen waren es 2007, danach kann ich keine offiziellen Zahlen (z.B. bei der UNO) finden.

Mumia muss endlich aus dem Knast

es reicht 11.02.2012 - 01:38
In den nächsten Monaten gibt es eine Menge Aktivitäten für die Freiheit von Mumia Abu-Jamal. Schaut mal in die Terminseiten und beteiligt euch oder zieht regional selnst was auf.

Free Mumia... and the rest will follow!

Veranstaltung zu Langzeitgefangene in Berlin

autonom 11.02.2012 - 03:03
Am 20.2. gibts ne Veranstaltung zu US-Langzeitgefangene, über Angela Davis, usw.
20.30h Stadtteilladen Zielona Gora, Grünberger Str. 73, Berlin-F'Hain, am Boxi

Too Good to be True Private

Prisons in America 11.02.2012 - 13:15
Cody Mason
January 2012

This report was written by Cody Mason, program associate at The
Sentencing Project.

The Sentencing Project is a national non-profit organization engaged
in research and advocacy on criminal justice issues.

Ergänzung

. 11.02.2012 - 15:41
Wenn man über das Thema redet, kann man eigentlich einen Aspekt nicht auslassen. Die Prohibition von Drogen, insbesondere Cannabis, macht in den USA einen erheblichen Antil der Gefängnissinsassen aus.
Dabei werden Schwarze erheblich öfter wegen Drogendelikten angezeigt, da sie häufiger von der Polizei kontrolliert werden.

Nicht umsonst war die Gewerkschaft der privaten Gefängnissindustrie einer der größten Sponsoren der Anti-Legalisierungskampagnen in Kalifornien...

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Haha — ... ihr Opfer