[HH] Nach dem Naziaufmarsch am 2.6.

Überleben in Altona 06.06.2012 21:09 Themen: Antifa Antirassismus Repression
Der Tag begann ähnlich wie der 1. Mai 2008: Als die Rauchsäulen von brennenden Barrikaden in den Himmel stiegen, die an vielen Stellen auf der geplanten Route des Naziaufmarsches errichtet wurden, war klar, dass dieser Naziaufmarsch auf keinen Fall so stattfinden würde wie von Nazis und Polizei geplant…
Zum sogenannten „Tag der deutschen Zukunft“ kamen weniger Nazis, als von ihnen selbst erhofft. Jenseits der (unnötigen) Zahlenspielereien bleibt festzuhalten: 300 – 500 statt der erhofften 700 waren es am Ende, die umsonst darauf warteten, ihre 4 Kilometer lange Route durch den Hamburger Stadtteil Wandsbek laufen zu können. Stattdessen wurde ihnen, aufgrund des starken antifaschistischen Widerstands mittels Barrikaden und (Sitz)Blockaden, von der Hamburger Polizei eine Alternativroute in der Nähe des S-Bahnhofes Hasselbrook angeboten. Aber auch diese Route musste auf maximal 1,5 Kilometer verkürzt werden: Denn auch mehrere Kilometer von der ursprünglich geplanten Route trafen Nazis und Polizei auf starken antifaschistischen Widerstand. Durch Blockaden und mehrerer direkter Angriffe auf die Nazidemo kam diese nur schleppend voran.
Auch danach konnten sich die Nazis nicht zurücklehnen und die Rückfahrt genießen, da sie auch auf der Rückreise immer wieder auf Antifaschisten trafen.
Auch wenn einige Nazis versuchen, sich den Tag schönzureden: Am Ende wird ihnen klar sein, dass Hamburg weiterhin ein äußerst schwieriges Pflaster für sie bleibt und sie nur durch den „engagierten“ Einsatz von 4400 Polizisten samt schweren Gerät durch die Straßen des Hamburger Stadtteils Eilbek laufen konnten. Aber der Reihe nach…

Medienrandale

Schon im Vorfeld wurde in den Pressemitteilungen der Polizei und von Vertretern der Hamburger SPD ein so einfaches wie falsches Bild gestrickt: Friedlicher, bzw. einzig legitimer Protest vor dem Rathaus, „Gewalttäter“ in Wandsbek. Dies wurde von lokalen Medien, egal ob Springerpresse, Hamburger Morgenpost oder NDR, relativ unhinterfragt wiedergegeben.
Nach den Geschehnissen am 2.6. war es dann wenig verwunderlich, dass die Berichterstattung nach dem gleichen Muster stattfand, wie vor dem 2.6. Dass die Teilnehmerzahlen an den direkten Aktionen (Barrikaden und Blockaden) gegen den Naziaufmarsch in Wandsbek runter gelogen werden (Statt von 10000 ist die Rede von 3500 Menschen) wirkt in diesem Zusammenhang fast schon nicht mehr verwunderlich. Auch werden die antifaschistischen Demonstrationen (HBgR) in der Hamburger Innenstadt mit ca. 7000 Teilnehmern und Demonstrationen mit mehreren tausend Menschen nach, bzw. in Wandsbek kaum bis überhaupt nicht erwähnt.Erst mit einiger Verzögerung wurde der Stellenweise sehr brutale Polizeieinsatz in einigen Medien hinterfragt.
Aber zu früh gefreut: Denn gleichzeitig eröffnet Rainer Wendt, Chef der Deutschen Polizeigewerkschaft, eine Diskussion über die Einführung von Gummigeschossen gegen „gewaltbereite Demonstranten“, denn, so Wendt, „dieses Mal ist die Polizei glimpflich davon gekommen."
Weniger glimpflich davongekommen sind übrigens etliche Gegendemonstranten. Besonders hart traf es viele Menschen, die mittels Sitzblockaden den Naziaufmarsch stoppen wollten. Hierzu fällt Rainer Wendt dann ein, dass „wenn Demonstranten die Sitzblockade nicht freiwillig auflös(t)en, dann tue es eben auch mal weh. Das sei beabsichtigt.“Und weiter: „Wer nicht weggeht, der muss die Konsequenzen tragen." (Hamburger Abendblatt, 3.6.)
Warum solchen Scharfmachern und Populisten wie eben Rainer Wendt oder Joachim Lenders von den einschlägigen Medien so viel Raum für die abstrusesten Forderungen eingeräumt wird, darüber kann nur spekuliert werden. Eins aber ist klar: Seriöser Journalismus sieht anders aus- gerade auch im Hinblick auf die Berichterstattung über die Aktivitäten gegen den Naziaufmarsch am 2.6..
Während der eine den Einsatz der Reiterstaffel, Wasserwerfer, Knüppel, Faustschläge und Tritte sowie Pfeffersprayeinsatz gegen Sitzblockierer und unbeteiligte Passanten rechtfertigt, legt der andere bei kritischen Nachfragen lieber den Telefonhörer auf: Besonders pikant in diesem Fall: Derjenige, der sich weigert, kritische Nachfragen von einem FSK-Reporter zu beantworten, ist nicht irgendwer, sondern der Pressesprecher der Hamburger Polizei, Mirko Streiber. Also jemand, dem man schon irgendwie eine gewisse Medienkompetenz zutraut. Einen Mitschnitt des Interviews findet sich hier

Heuchelei auf dem Rathausmarkt

Während in Eilbek der Naziaufmarsch durchgeprügelt wurde, feierten Bürgermeister Olaf Scholz und andere Angehörige des SPD-Senates, in völliger Ignoranz gegenüber ihrer eigenen Abschiebepolitik, Hamburg als das „offene Tor zur Welt“. Ausgerechnet Olaf Scholz, der die Mitverantwortung für den Tod von Aichidi John trägt, ließ sich auf dem Rathausmarkt und von den Medien als Kämpfer für „Toleranz und Vielfalt“ feiern. Der viel strapazierte Begriff „Zivilcourage“, die auch gerne von Politikern der SPD eingefordert wird, fand (wieder einmal) weit ab vom Geschehen bei Bratwurst und Sonntagsreden statt.
Ohne jetzt in Verschwörungstheorien abgleiten zu wollen: Die Kundgebung auf dem Rathausmarkt hatte einen weitergehenden Sinn. Sie war der Versuch, politische Hegemonie über Protestformen und Orte des Protestes zu erlangen. Widerstand und Protest in der Nähe des Naziaufmarsches sollte als „gewalttätig“ und illegitim diskreditiert werden. Schon die Form der weiter oben genannten medialen Berichterstattung lässt diesen Schluss zu.
So etwas wie in Dresden, wo die regierenden Parteien bei den Protesten gegen den dortigen Naziaufmarsch kaum eine Rolle spielen, sollte es in Hamburg nicht geben. „Zivilcourage“ sollte sich nach dem Willen von Olaf Scholz & Co in Hamburg auf einer Kundgebung weitab vom eigentlichen Geschehen abspielen, nicht in Wandsbek mittels (Sitz) Blockaden. Angesichts dieser versuchten Einflussnahme ist es mehr als erfreulich, dass sich trotzdem an die 10000 Menschen am direkten Protest und Widerstand in Wandsbek beteiligten.

Der 2.6. in Wandsbek und Eilbek

Zu den Geschehnissen in Wandsbek und Eilbek wurde an anderer Stelle schon genug Geschrieben. Zur Repression an diesem Tag gibt es einen kurzen Bericht vom Hamburger Ermittlungsausschuss. Nur so viel: Der Tag war geprägt von brennenden Barrikaden und Blockaden einerseits und von Polizeigewalt andererseits. Im Stadtteil fanden sich in vielen Fenstern und Balkonen Plakate oder Transparente, welche sich gegen den Naziaufmarsch richteten. Viele Anwohner beteiligten sich am Protest und standen auswärtigen Antifaschisten mit Tipps zur Seite.
Wo in Städten wie Dresden, Lübeck oder Neumünster längst ein derartiger Aufmarsch abgebrochen, bzw. gar nicht erst begonnen worden wäre, setzte die Polizei alles daran, einen Aufmarsch zu ermöglichen. Einzig und allein die Mischung aus friedlichem und militantem Widerstand von tausenden von Menschen zwang die Nazis dazu, ihren Aufmarsch nicht wie geplant auf einer 4 Kilometer langen Route in Wandsbek durchzuführen, sondern sie mussten sich mit einer unattraktiveren Alternativroute zufrieden geben. Aber auch hier waren sie aufgrund des hartnäckigen antifaschistischen Widerstands gezwungen, nach 1,5 Kilometern in wieder die S-Bahn zu steigen. Ein hervorragend funktionierendes Infosystem versetzte aktive Antifaschisten in die Lage, schnell auf plötzliche Veränderungen zu reagieren. Aufgrund der Weitläufigkeit des Gebietes rund um die ursprünglich geplante Route und der Anwesenheit von 4500 Polizisten war eine komplette Verhinderung des Aufmarsches aber nicht möglich.
Ein großes „Dankeschön“ gab es von den Nazis an die Adresse der Polizei. So schreiben sie in ihren Internetforen: „(…)Vor allem auch mal ein Dank bzw. Kompliment an die Polizei, die den Weg gut freigeknüppelt hat...ist ja auch nicht alle Tage so(…)“ oder: „Von mir aber auch Daumen hoch an die Polizei(…)so ein verhalten sieht man leider selten.“
Ein Dankeschön von denjenigen also, die kaum jemand in der Stadt haben wollte...
So sehen „vom Grundsatz her erfolgreich(e)“ Polizeieinsätze aus: Typisch für das Geschehen am 2.6. in Wandsbek und Eilbek...
Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen

„Tag der deutschen Zukunft“ weniger Nazis !!

Hubert Echoe 06.06.2012 - 23:37
Kurzes Video vom Ende des Aufmarsches ........ Diese Bilder sprechen für sich...  http://de.indymedia.org/2012/06/330971.shtml

Perspektivenerweiterung tut not!

Lampenputzer 06.06.2012 - 23:38
Die bisherige Analyse in diesem wie auch den anderen verlinkten Indy-Artikeln vernachlässigt völlig, dass es dem Repressionsapparat schon längst nicht mehr nur darum geht, eine militante antifaschistsiche Szene einzuschüchtern.
Wie auch schon bei M31 in Frankfurt werden sogenannte Grundrechte einfach außer Kraft gesetzt - sei es durch höchstrichterliche Verfügungen oder sei es durch die Kessel- und Knüppelorgien der Polizei.
In welchen Zeiten leben wir? Die aufständischen Menschen in den arabischen Staaten sind von konterrevolutionären Bestrebungen bedroht. In Griechenland bricht aufgrund der Spardiktate unter deutscher Führung die öffentliche Gesundheitsfürsorge zusammen (  http://www.heise.de/tp/artikel/37/37008/1.html ) und das scheint erst der Anfang von dem zu sein, was an Umverteilungspolitik auf die ärmeren Menschen in den europäischen Ländern zukommt.
In praktisch allen europäischen Ländern haben die Machtapparate die Repression intensiviert. Beispielhaft:  http://de.indymedia.org/2012/04/328730.shtml
Es geht darum den Machthabenden darum, Stärke zu demonstrieren, um Menschen von den erwartbar stärker werdenden Protesten abzuschrecken. Aber es geht den Polizeiapparaten auch darum, neue Taktiken zu erproben und zu verfeinern. Militärischen Einheiten werden Manöver zur Übung zugestanden. Polizeieinheiten üben Koordination und Repression bei Gellegenheiten wie dieser antifaschistischen Demonstration.
Was uns an Repression noch bevorsteht, droht bitter zu werden. Nicht umsonst hat diese deutsche Republik die Notstandsgesetze, die 1968 Auslöser von Massenprotesten waren, niemals aufgehoben.
 http://de.wikipedia.org/wiki/Notstandsgesetze
 http://www.sopos.org/aufsaetze/4841d31c5a800/1.phtml
Revolutionen waren am ehesten dann erfolgreich, wenn es gelang die Menschen, die bislang Teil der Repressionsorgane waren aus diesen herauszulösen. Und wenn genug andere den Mut und die Kraft aufbrachten, sich nicht länger wegzuducken vor dem was so große Angst macht sondern stattdessen gemeinsam aufzustehen.
"Ich bin. Aber ich habe mich nicht. Darum werden wir erst." (Ernst Bloch)

„Tag der deutschen Zukunft“ weniger Nazis

kalle 07.06.2012 - 08:09
Kurzes Video vom Ende des Aufmarsches ........ Diese Bilder sprechen für sich..
 http://www.youtube.com/watch?v=TISrbmTQynY

@Lampenputzer

Dein Name 07.06.2012 - 10:01
"Wie auch schon bei M31 in Frankfurt werden sogenannte Grundrechte einfach außer Kraft gesetzt - sei es durch höchstrichterliche Verfügungen oder sei es durch die Kessel- und Knüppelorgien der Polizei."

Das ist aber nichts neues (Was es nicht minder bedenklich macht). In Gorleben ist das von dir beschriebene seit Jahren Praxis. In Brokdorf (1970er/19080er), Startbahn West (1980er), Hamburg (u.a. "Hamburger Kessel"), Wackersdorf, um nur einige zu nennen war es genauso. Dort betraf es es teilweise sogar viel mehr Menschen als letzten Samstag. Grundrechte werden meist dann außer Kraft gesetzt, wenn dem Staat die Menge an Widerstand (nicht Protest) leistenden zu groß wird und/oder er ein großes Interesse hat, bestimmte Projekte (etwa Atomenergie) durchzusetzen. Für solch einen Fall braucht man dann eine Öffentlichkeit, die sich kritisch mit dem Agieren des Staates auseinandersetzt.

Lob und Kritik

Hamburger Jung 07.06.2012 - 15:31
Ja, das Infosystem hat gut geklappt. Vorallem das Infotelefon hat hervorragende Arbeit geleistet. Super Lageeinschätzung und punktgenau die Leute Richtig Nazis geschickt. War insgesamt für der Erfolg von großer Bedeutung.
Die Abreise war allerdings eher für Antifas problematisch. In Harburg gab es diverse Angriffe auf Antifas, die nicht immer glimpflich abliefen. Dort hatten sich ungefähr 150 Nazis versammelt.

nur so mal nebenbei

betroffen 08.06.2012 - 15:22
nach einer politischen veranstaltung in unserem viertel, wurde von bfe einheiten in unserem wohnprojekt diverse türen eingetreten. ich konnte gar nicht so schnell an meine haustür ran, da hat mir der einsatzleiter schon gesagt:"sie gehen raus und wir gehen rein". so, so. auf meine frage nach der rechtlichen grundlage hieß es nur "gefahr im verzug". mit diesem gummiparagraphen kann jedes gesetz ausgehebelt werden.
nebenbei wurden keine so genannten "straftäter" im ganzen haus gefunden, ach nee!
als wir juristisch dagegen vorgingen, kam aus der innenbehörde eine schriftliche stellungsnahme zu dem geschehen. darin hieß es, dass wenn man im wohnprojekt wohnt solche unannehmlichkeiten für die bewohner zu tragen sei, DA EIN WOHNPROJEKT KEIN KLASSISCHES MIETVERHÄLTNIS IM BÜRGERLICHEN SINN SEI. ich glaube es erübrigt sich zu erwähnen, dass auf unsere schriftliche frage, was ein klassisches mietverhältnis im bürgerlichem sinne sei, ob es auch noch andere formen des mietverhältnis gebe und wo wir dieses nachlesen könnten, bis heute keine antwort bekommen haben.
ende vom lied: verfahren gegen die stadt eingestellt und auf eine mehrere 1000€ rechnung sitzen geblieben.
ist schon toll, dass es im demokratischen rechtsstaat eine institution gibt, die ausserhalb jeglicher legitimität agieren darf.
aber ihr gehört sicher auch zu den leuten die den standpunkt vertreten:"wer nichts auf dem kerbholz hat, brauch auch nichts zu beführchten".
na bis ihr dann mal so richtig unbefürchtet kriminalisiert werdet.

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

Zeige die folgenden 2 Kommentare an

@besorgte — house m.d.