[K] Polizei setzt Naziaufmarsch in Kalk durch

AutorIn 11.12.2011 19:09 Themen: Antifa
Am Samstag, den 10.12., marschierten 50 Nazis aus Köln und Umgebung gegen „Polizeirepression und Medienhetze“ durch das Kölner „Szeneviertel“ Kalk. Circa 600 AntifaschistInnen stellten sich diesem Vorhaben entgegen; doch das massive Polizeiaufgebot riegelte die Naziroute hermetisch ab und setze deren Aufmarsch teilweise brutal durch.

Nazis in Kalk? Heißes Eisen, damals wie heute

Der Vorstoß der Kölner Nazis nach Kalk war mit einer besonderen – geschichtlich sowie aktuell tagespolitisch – Brisanz verbunden.

Der letzte Aufmarsch vom prominentesten Kölner Nazi-Kader Axel Reitz und Konsroten liegt 7 Jahre zurück; bereits 2004 trauten sich die Nazis „gegen Multikultigesellschaft“ nach Köln-Kalk, das durch seinen hohen Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund und dem Ruf eines tradtionellen ArbeiterInnenviertels schon immer ein Dorn im Auge der Nazis dieser Region war. Dieser letzte Versuch von 2004 entwickelte sich aufgrund des breiten Protests mit Blockaden sowie vereinzelten Angriffen auf die Demo zu einem peinlichen Spießrutenlauf, der die Frequenz an öffentlichen Nazi-Auftritten in Köln zunehmend dezemierte.

Der gestrige Aufmarsch in Köln ist seit dem Skandal um Verfassungsschutz und dessen buchstäbliche Schützenhilfe für den NSU der erste, der sich auf selbigen bezog. Axel Reitz hatte nach Recherchen von bürgerlichen Presse- und Meidenorganen Kontakte sowohl zum sog. „Zwickauer Terror Trio“ selbst als auch zu mutmaßlichen, nun inhaftierten Mitgliedern und Unterstützern des NSU. Neuesten Erkenntnissen zufolge sollen die Anschläge des NSU, wovon einer 2004 im ebenfalls migrantisch geprägten Köln-Mülheim stattfand, nicht ohne Kontakt, Vorbereitung und Kooperation mit den lokalen Nazis möglich gewesen sein.

Weiteres zur Kölner Naziszene und dem Kontakt zum NSU:
PM im Vorfeld des Aufmarsches, Radiointerview mit dem Antifa AK Köln

Gelaufen, und dennoch nichts gewonnen

Die Nazis planten den Beginn ihres Aufmarsches für 12:00 Uhr, die antifaschistische Mobilisierung rief für 10 Uhr zum zentralen Platz in Kalk, Kalk Post, auf. Bereits ab 8:30 Uhr sperrte die Polizei teilweise viel befahrenen, zentralen Knotenpunkte in und um Kalk komplett ab. Mit Sperrgittern sicherten sie die kurze Aufmarschroute der Nazis hermetisch ab, die Pufferzonen mit weiteren Sperren und weiteren Beamten erschwerten jeglichen Zugang auf die Route enorm.

NazisEtwas verspätet und unter lautstarkem Protest von AntfaschistInnen an den Absperrgittern begann die Startkundgebung der Nazis an der Kalker S-Bahnstation, Köln-Trimbornstraße. Von dieser führen die Straßen ins Wohngebiet mit einem sehr hohen Anteil an Menschen mit Migrationshintergrund. Viele AnwohnerInnen und KalkerInnen empfanden dies als besondere Provokation und schlossen sich daher dem antifaschistischem Protest an. Doch egal an welchem Polizeigitter man stand, viele Antifas und auch AnwohnerInnen fragten sich: „Wo stehen die Schweine denn?“, denn die Polizei versperrte fast überall sogar den Sichtkontakt.

BullenUnter einem gigantischen Kessel lief der kleine braune Haufen dann ihre kurze Strecke los. An einer Absperrung griffen GegendemonstrantInnen den Aufmarsch mit Gemüse und Böllern an; einigen gelang es, die Polizeikette kurzzeitig zu durchbrechen. Doch die Staatsmacht reagierte sofort mit flächendeckendem Einsatz von Pfefferspray und Schlagstöcken, um den Aufmarsch der nationalen Sozialisten weiter zu sichern. Es gab einige leichtverletzte AntifaschsitInnen und eine Festnahme.

Nach bereits 15 Minuten „Marsch“ erreichten die Nazis ihren Abschlusskundgebungsort, das Kölner Polizeipräsidium. Ebenfalls unter lautstarken, antifaschistischen Parolen, hielten sie ihre Redebeiträge ab. Axel Reitz distanzierte sich dabei von „kriminellen Elementen“ des NSU, doch seine Erklärungsnot lässt nur wenig an den Verbindungen zwischen ihm und derselbigen zweifeln. Der aus Hamburg angereiste, ebenfalss prominente Freie-Kameradschafts-Haudegen Christian Worch kündigte an, gegen anstehende Gesetzesentwürfe in Norddeutschland (er erwähnte explizit Bremen) energischen, nationalsozialistischen Protest vorzubereiten.

50 NazisNachdem die Nazis aus Kalk weggekarrt wurden, machten sie noch – scheinbar betrübt über das Häufchen Elend, was sie in Kalk abgegeben haben ( hier MIT Kessel) – Furore am Kölner Hauptbahnhof. Einige von ihnen sammelten sich zu einer Spontandemo auf der Domplatte, doch über die Infostrukturen wussten die GegendemonstrantInnen schnell bescheid, einige waren nun ebenfalls am Hauptbahnhof. Scheinbar hatte die Kölner Polizei für heute genug von Nazis Beschürzen und wollte zudem eventuelle Auseinandersetzungen im Herzen Kölns – zu dieser Zeit voller TouristInnen – vermeiden. Die Sponti kam nicht weit, die letzten Nazis wurden nun endgültig nach Hause gekarrt. Als sich dabei ein Antifaschsit selbst überzeugen wollte, ob die Nazis wirklich am Gleis stehen und nicht doch noch durch die Innenstadt irren, quittierte dies die Polizei mit Schlägen und Tritten und beförderte den Antifaschisten ins Krankenhaus.

Fazit und Blick nach vorne

Anna Müller, Sprecherin des Antifa AK Köln, zeigte sich zufrieden mit der Mobilisierung und dem Protest im Rahmen seiner Möglichkeiten. Für die Nazis sei das Ganze wieder einmal ein Reinfall gewesen:

„Für 5 Tage Mobizeit sind 600 AntifaschistInnen sehr zufriedenstellend. Zudem erreichten wir auch einige Kalker AnwohnerInnen, die sich uns anschlossen – das war uns sehr wichtig. Die Nazis haben es nach 7 Jahren wieder versucht. Und trotz des Einflusses lokaler Nazikader wie Breuer und Reitz sowie überregionaler Größen wie Worch sind nur 50 Nazis dem Aufurf gefolgt. Sehr peinlich. »Wichtige« Nazistrukuren aus NRW waren gar nicht vertreten.“

Gleichzeitig übt Müller scharfe Kritik an der Polizei:

„In solch einer Situation, ich meine den öffentlichwirksamen Diskurs über NSU und der Verstrickung des Staates, ist das brutale Durchsetzen eines Naziaufmarschs besonders makaber. Da bleibt uns nur zu sagen: Ob vor oder nach der „Erkenntnis“ NSU – deutsche Polizisten schützen die Faschisten!“.

Dieser Themenkomplex von Nazis und Staat genießt in Köln momentan Kontinuität: unter dem Motto „Rosen auf dem Weg gestreut. Gegen Faschismus, Rassismus und Verfassungsschutz“ ruft ein Bündnis linker und antifaschistischer Gruppen für den 17.12. zu einer Demo in Köln-Mülheim, dem Ort des NSU-Bombenanschlags 2004, auf.

Weitere Infos:
no-racism.de | antifa-koeln.net | vs-aufloesen.de

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Ergänzungen

Demo am 17.12. in Köln-Mülheim

name 11.12.2011 - 19:40

Rosen auf den Weg gestreut.
Gegen Faschismus, Rassismus und Verfassungsschutz!

Antifaschistische Demo am Samstag 17.12.2011, 15:00 Uhr Köln-Mülheim

Infos: vs-aufloesen.de

Seit Jahren warnen linke und antifaschistische Initiativen vor der rassistischen Gewalt von Neonazis. Dennoch wirft die nun aufgedeckte rassistische Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) ein schockierendes Licht auf das Ausmaß rassistischer Gewalt in Deutschland – und auch auf ihre Verharmlosung. Die Morde und Attentate der NSU geschahen in einem gesellschaftlichen Klima der Ausgrenzungen, Diskriminierungen und der tagtäglichen rassistischen Gewalt. Sie bilden nur die Spitze eines Eisberges. Seit 1989 wurden nicht nur mindestens 182 rassistisch motivierte Morde in der Bundesrepublik Deutschland verübt, es gedieh auch eine allgemeine rassistische Politik von Sondergesetzen, Abschiebungen und sogenannten Integrationsdebatten. Während Studien über die „Deutschen Zustände“ jedes Jahr von Neuem belegten, dass gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit essentieller Bestandteil der „gesellschaftlichen Mitte“ ist, rühmen sich zugleich Sprecher bundesdeutscher Repressionsorgane ihrer Abschottungspolitik an den Außengrenzen Europas und verleihen sich stolz den Titel „Festung Europa“. Als Reaktion auf die rassistische Raserei sind nicht Worte des Bedauerns gefragt, sondern eine bedingungslose Solidarität mit allen Opfern des Rassismus.

Polizeiliche Diffamierung

In einem allgemeinen rassistischen Klima erklärten die Polizeidienststellen die Opfer der faschistischen Gewalt ohne Gegenwehr zu Tätern. Rassistischen Stereotypen entsprechend wurden die Taten im Dunstkreis der „anatolischen Mafia“, „illegalem Glücksspiel“ und „Schutzgelderpressung“ verortet. Nach dem Nagelbombenanschlag der NSU auf der Keupstraße 2004 ging auch von Seiten der Polizeiwache Köln-Mülheim eine polizeiliche Diffamierung der Opfer aus. Ein rechter Hintergrund der Tat wurde während den Ermittlungen voreilig ausgeschlossen.
Dieser Fall zeigt: Solange über die gesellschaftlichen Bedingungen des Rassismus geschwiegen wird, werden weder die faschistischen Morde noch die tagtäglichen rassistischen Gewalttaten aufgeklärt.

Nazis Morden, der Staat lädt nach

Nachdem der neonazistische Hintergrund der Taten offenbar wurde, wird die in den Medien thematisierte Zusammenarbeit von Repressionsapparaten und Nazigruppen als „Panne“ oder „Versagen“ abgebucht. Das politische Tagesgeschäft läuft wie gewohnt weiter. Der Schlussstrich ist gezogen – noch bevor auch nur ein einzelner NSU-Mord oder -Anschlag vollständig aufgeklärt ist. Die Verstrickungen der Geheimdienste in den faschistischen Terror wurden bisher nur zögerlich durchleuchtet. Viele Akten, die Licht ins Dunkel hätten bringen können, sind bereits vernichtet. Als einzige Konsequenz aus dieser Reihe von „Pleiten, Pech und Pannen“ bleibt der Ruf nach weitergehenden Befugnissen für Geheimdienste und noch mehr Möglichkeiten, politische Bewegungen zu kriminalisieren.
Fehlende Akten sind für den Verfassungsschutz symptomatisch. Das zeigt auch die Geschichte der Behörde: Wie andere Institutionen der BRD wurde dieser maßgeblich von Nazis aufgebaut. Doch eine Aufarbeitung dieser Vergangenheit wird bis heute verwehrt. Dazu wäre ein Zugriff auf die historischen Unterlagen nötig. Die Archive des VS sind aber bis heute verschlossen.
Weiter aktuell bleiben Fälle in denen staatliche Geheimdienste faschistische Gewalt verharmlosen, die Täter als unpolitische Sonderlinge klassifizieren und ihre Verbindungen zu faschistischen Organisationen bewusst ignorieren. Aufgeklärt ist darum nichts, bekannt bleibt ein brauner Faden quer durch die Geschichte der Bundesrepublik.

Der Extremismus der Mitte

Doch die Zuständigen streuen der faschistischen Gewalt nicht nur Rosen auf den Weg. Sie bekämpfen zugleich jene Kräfte in der Gesellschaft, die sich Rassismus und Faschismus in den Weg stellen. Unter Bezug auf das theoretische Konzept „Extremismus“ werden antifaschistischen und antirassistischen Initiativen staatliche Gelder gekürzt und das Engagement für eine solidarische Gesellschaft kriminalisiert. Die Extremismusdoktrin der Bundesrepublik Deutschland will das politische Spektrum als ein Hufeisen verstanden wissen. Danach befänden sich an den Rändern der Gesellschaft ihre vermeintlichen negativen Extreme. Die sogenannte demokratische Mitte wiederum soll als einzig positiver und politisch legitimer Bezugspunkt verstanden werden. Unter dem Label „Extremismus“ wird faschistische Vernichtungsideologie mit linken Bestrebungen für ein gutes Leben gleichgesetzt und Rassismus und Antisemitismus zu Randphänomenen der bürgerlichen Gesellschaft verharmlost. Der staatliche Anspruch auf das Monopol politischer Willensbildung, der sich hinter der Extremismusdoktrin verbirgt, hat dabei die Funktion, stets die Weste der bürgerlichen Gesellschaft rein zu waschen.

Also wird man alles selber machen müssen: Faschismus und Rassismus bekämpfen! Verfassungsschutz auflösen!

Antifaschistische Demonstration am 17. Dezember 2011, 15:00 Uhr in Köln-Mülheim

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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Faschisten! — Internationalistin