Mainz, 10.12.2011

AniMaWi 12.12.2011 02:58 Themen: Antifa Kultur
Neuer Wein in alten Schläuchen: Die bürgerliche Empörung nach dem NSU

Am 10.12.2011 fand in Mainz anlässlich der Mordanschläge des „NSU“ eine Demonstration unter dem Motto „Hand in Hand gegen Rechtsextremismus“ statt. Die Initiative dazu war von einer neugegründeten Hochschulgruppe ausgegangen. Mit aufgerufen hatten unter Anderen die DGB-Jugend , Linkspartei, die SPD, die Grünen sowie die Junge Union.
Am Samstagvormittag um 11 Uhr versammelten sich die ca. 200 Demonstrierenden am Rathaus, um gemeinsam etwa 20 Minuten lang zum Schillerplatz zu laufen. Dabei wurden Parolen wie „Aufstehen, Rausgehen, Nazis im Weg stehen“ skandiert.
Am Schillerplatz sprachen nach einem kurzen Grußwort der Organisator_innen die ausschließlich männlichen Vertreter der unterstützenden Organisationen und Parteien. Dabei fiel auf, dass sich Perspektiven geändert haben. Es wurden deutliche Worte gegenüber dem NPD-Verbotsverfahren, aber auch den Sicherheitskräften gefunden: „Wenn vor vier Jahren das NDC gesagt hätte, dass der Verfassungsschutz auf dem rechten Auge blind ist, so wäre es in die linkeste Ecke gestellt worden“, so Staatssekretär Michael Ebling. Der Mainzer Bürgermeister Günther Beck betonte auch, dass „viele schon zu lange gewarnt“ hätten. Leider war für die, die bereits in dieser linken Ecke stehen, die schon lange warnen, kein Platz mehr am Redner_innenpult, eine Sprecherin der Antifa wurde abgelehnt.
Weiterhin sprachen Mehdi Jafari Gorzini von Ver.di, sowie dem Vorsitzenden des Beirates für Migration und Integration der Stadt Mainz Salim Özdemir.
Kai Partenheimer vom Netzwerk für Demokratie und Courage forderte eine lückenlose Aufklärung der Mordfälle, sowie ein NPD-Verbot und wies darauf hin, das es notwendig sei, nicht nur Sonntagsreden zu halten, sondern aktiv zu werden.
Abschließend sprach ein Vertreter der Hochschulgruppe „Gemeinsam gegen Rechtsextremismus“ und machte deutlich, dass ein NPD-Verbot zu kurz greife und eine inhaltliche Auseinandersetzung nötig sei.

Gemeinsam gegen Rechts?
Auf dem Flyer fällt auf, dass „Extremismus“ besonders hervorgehoben ist. Damit wird das eigentliche Problem auf einen Extremismus verlagert, wobei die Ausprägung links oder rechts sein könne. Tatsächlich wird erst durch diesen seit längerem umstrittenen Begriff ein Problem verschleiert, da menschenverachtende Einstellungen nicht durch Extremismus entstehen, sondern sich überall in der Gesellschaft finden lassen. Mit dem Extremismusbegriff werden solche Probleme an den Rand der Gesellschaft geschoben, wo sie kein Problem darstellen, bis es dann irgendwann knallt. Wie bei dem NSU.
Aber ohne diese Einschränkung wäre eine so breit angelegte Demonstration wohl kaum möglich gewesen. Junge Union und nicht zuletzt der Rechts-AStA der Uni Mainz hätten vermutlich mehr als ein paar Bauchschmerzen gehabt, sich mit einem Kampf gegen Rechts zu identifizieren.

Mit Kompromissen gegen Rechts
Das Ziel, möglichst viele Menschen für ein so wichtiges Thema auf die Straße zu bringen, ist nachvollziehbar. Und gerade für eine Hochschulgruppe ohne eigene finanzielle Mittel ist es schwierig, auf ressourcenstarke Strukturen wie die Verfasste Studierendenschaft zu verzichten.
Dieser Kompromiss hat allerdings Konsequenzen, die nicht unbedingt gleich spürbar sind.
Bürgerliche Gruppen, gerade solche die sich als rechts und konservativ sehen, wie die CDU oder der RCDS, gehören nicht gerade zu den üblichen Unterstützer_innen von Anti-Nazi-Demonstrationen. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass weniger menschenverachtende Einstellungen wie Sexismus, Rassismus und Antisemitismus als Problem gesehen werden, sondern ausschließlich die Gewalt von Neonazis. Institutionalisierter Rassismus wie eine mörderische Asylpolitik, die von den bürgerlichen Parteien getragen wird, wird nicht problematisiert.

Antifaschistische Positionen neu entdecken
Seit dem der NSU sich selbst in die Medienpräsenz gesprengt hat, werden zivilgesellschaftliche Stimmen laut, die heute nicht laut genug das fordern, was schon seit Langem von antifaschistischen Gruppen gefordert wird: Aufklärung über die Arbeit des Verfassungsschutzes, Anerkennung der lebensbedrohenden Gefahren, die von organisierten Nazis ausgehen, öffentliche Unterstützung der Betroffenen von Nazigewalt sowie eine Reflektion des Umgangs der Ermittlungsbehörden mit eigenen menschenverachtenden Einstellungen. Der Rheinland-Pfälzische Innenminister Roger Lewentz positionierte sich im SWR für ein NPD-Verbot. Bei dieser Demo wurde auch klar Stellung zu den bisherigen Opferzahlen der durch Nazis Ermordeten bezogen: Nicht mehr die vom Verfassungsschutz genannten 47 von politisch motivierter Gewalt geforderten Todesopfer waren vernehmbar, sondern die von unabhängigen Initiativen genannten weit höheren Zahlen werden akzeptiert. Selbst die Jugendzeitschrift Bravo legt Poster gegen Rechts bei. Es wird deutlich: Durch das Bewusstsein um den „rechten Terror“, den es nicht erst seit der NSU gibt, werden antifaschistische Positionen salonfähig.

Erfahrungen im Umgang mit Nazis
Warum dann nicht von den Erfahrungen und Kompetenzen antifaschistischer Gruppen profitiert werden kann lässt sich aus der Antwort der Organisation der Demonstration aus Mainz lesen. Nachdem von der AnIMzWi die Möglichkeit der Beteiligung an der Demonstration in Form eines Redebeitrags dankbar abgelehnt wurde, wurde gleichzeitig ermuntert an der Demonstration teilzunehmen: Als Demokrat_innen und friedlich.
Das solche Hinweise anscheinend unumgänglich sind, wenn mit antifaschistischen Gruppen kommuniziert wird, spiegelt die Inhalte des Politikverständnisses dieser Gruppe wieder. Dabei soll glaubhaft gemacht werden, dass sich linke und rechte Vorstellungen glichen, sich annäherten. Für antifaschistische Gruppen bedeutet das eine permanente Stigmatisierung und Kriminalisierung, was sie als politische Bündnispartner_innen ausklammert.

Ambivalentes Verhältnis
Für den Verfassungsschutz bedeutet es weniger Konkurrenz bei der Aufklärungsarbeit über Neonazis. Nicht zum ersten Mal bei der NSU mussten sich Fehleinschätzungen eingestanden werden und ein vorhandener Vorsprung antifaschistischer Recherche realisiert werden: Als die Kolleg_innen noch die Explosionsstellen untersuchten, konnten antifaschistischen Strukturen schon konkrete Hinweise liefern.
So verwendet der Verfassungsschutz Publikationen von Recherchen über Nazis, die in der Zeitschrift „Versteckspiel“ publiziert werden, wenn er über Symbole und Erkennungszeichen von Nazis berichten soll.
Gleichzeitig sehen sich antifaschistische Gruppen auch der Kriminalisierung und Stigmatisierung durch den Verfassungsschutz ausgesetzt. Beispielsweise wurde die Zeitschrift Lotta 2008 im Verfassungsschutzbericht als linksextremistisch bezeichnet. Die Lotta klagte erfolgreich und der Eintrag im Verfassungsschutzbericht musste geschwärzt werden. Ein Eintrag im Verfassungsschutzbericht – auch aus anderen Ländern – bleibt nicht folgenlos: In diesem Jahr wurde dem Verein der Verfolgten des Naziregimes – Bund der AntifaschistInnen die Gemeinnützigkeit aberkannt, was den finanziellen Spielraum dieser Organisation einschränkt. Begründung: VVN-BdA wurde in einigen Verfassungsschutzberichten verschiedener Länder genannt. Sieht sich der Verfassungsschutz durch die konkreteren Ergebnisse bedroht? Aus welchen Gründen dies auch immer geschieht, antifaschistische Intervention scheint dem Verfassungsschutz ein Dorn im Auge zu sein.

Fazit
Die sich abzeichnenden neuen Entwicklungen in der Öffentlichkeit sind begrüßenswert. Auch in den Beiträgen der Demonstration in Mainz wurde es als notwendig erachtet , sich mit den menschenverachtenden Einstellungen der Nazis auseinanderzusetzen, um ihnen in der Gesellschaft etwas entgegensetzen zu können. Dabei ist zunächst JedeR gefragt, sein eigenes Denken und Handeln im Hinblick auf die Reproduktion menschenverachtender Einstellungen zu hinterfragen.
Auch in Stellen der Regierung und Verwaltung müssen solche Prozesse stattfinden, nicht zuletzt bei Polizei und Verfassungsschutz, da menschenunwürdige Behandlungen wie Abschiebungen rassistisch sind und bleiben.
Solange allerdings Behörden und gesellschaftliche Akteur_innen ihr Handeln am sogenannten Extremismusmodell orientieren, werden antifaschistische Gruppen und Menschen, welche die menschenverachtende Normalität hinterfragen, an den Rand der Gesellschaft gedrängt , wo ihre Kritik verhallt. Die Folge ist eine Zementierung der bestehenden Ordnung, auch wenn diese für manche Menschen lebensunwürdige Umstände bedeuten. Darum lehnen wir jeden Extremismusbegriff ab. Es ist wichtig, Nazis als das zu bezeichnen, was sie sind. Menschenverachtendes Gedankengut darf nicht als politische Ausdrucksform gelten, die erst zum Problem wird, wenn sie gegen Gesetze verstößt. Stattdessen sollten solche Probleme überall da thematisiert werden, wo sie auftreten: `Die Vernichtung des Faschismus an seinen Wurzeln´.
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