Massaker in Kasachstan

Tomasz Konicz 18.12.2011 20:15 Themen: Repression Weltweit
Kasachisches Regime lässt streikende Ölarbeiter in der Stadt Schanaosen von Militäreinheiten niedermetzeln. Proteste greifen Wochenende trotz massiver Staatsrepression auf andere Ortschaften über.
Seit dem 16. Dezember, dem kasachischen Unabhängigkeitstag, ist die westkasachische Ortschaft Schanaosen von der Außenwelt abgeschnitten. Alle Zufahrstraßen zu der rund 90 000 Einwohner umfassenden Ölstadt sind von Polizei- und Militäreinheiten gesperrt, während die Stromversorgung, das Mobilfunknetz und alle Internetanbindungen gekappt wurden. Der autokratisch regierende kasachische Präsident Nursultan Nasarbajew verhängte am 17. Dezember den Ausnahmezustand über der Stadt, der mit einer nächtlichen Ausgangssperre und absolutem Versammlungsverbot einhergeht.
Laut Augenzeugenberichten griffen am 16. Dezember gegen 11 Uhr vormittags Polizeieinheiten eine rund 3 000 Personen zählende Gewerkschaftsdemonstration im Zentrum von Schanaosen unvermittelt an, obwohl die Demonstranten sich friedlich verhielten und unbewaffnet waren. Ein Polizeiauto soll hierbei in voller Fahrt in den Demonstrationszug gerast sein. In den hiernach ausbrechenden Auseinandersetzungen gingen etliche Regierungs- und Firmengebäude in Flammen auf. Die Polizeikräfte in der Stadt wurden im Laufe des Freitags von Militäreinheiten verstärkt, die scharfe Munition, Maschinengewehre und gepanzerte Fahrzeuge gegen die unbewaffneten Demonstranten einsetzten. Gewerkschaftler sprachen gegenüber Medienvertretern von 50 bis 150 getöteten Demonstranten, die diesem Massaker zum Opfer gefallen sein sollen. Über 500 Menschen sollen verletzt worden sein. Augenzeugen berichten von Krankenwagen-Konvois, die aus der Regionshauptstadt Aktau nach Schanaosen aufgebrochen sein sollen. Die Krankenhäuser in der Region seien „überflutet mit Verletzten“. Das Regime in Astana spricht von 11 Toten.
Dieses Massaker bildet den vorläufigen Höhepunkt einer brutalen Repressionskampagne, mit der das Regime Nasarbajews den Widerstand der kasachischen Ölarbeiter zu brechen versucht. Seit rund sechs Monaten kämpfen in der Region Mangghystau Tausende von Beschäftigten der kasachischen Ölbranche um Lohnerhöhungen und bessere Arbeitsbedingungen. Die Betriebsleitung des im Staatsbesitz befindlichen - und eng mit chinesischen und westlichen Ölmultis kooperierenden - Konzerns KazMunayGas reagierte auf die Streiks zuletzt mit Massenentlassungen, von denen 2500 Arbeiter betroffen waren. Am 2. August wurde der Gewerkschaftler Zhaksylyk Turbaev von unbekannten Tätern ermordet. Die Anwältin der entlassenen Arbeiter, Natalja Sokolowa, wurde unter dem Vorwurf des „Schürens sozialer Konflikte“ zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Gegen die sozialistischen Aktivisten und Gewerkschaftler Esenbek Ukteshbajew und Ainur Kurmanow nahm die kasachische Justiz Ermittlungen auf, die zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe führen können.
Dennoch scheint die zum Massaker gesteigerte Repression des kasachischen Regimes den Widerstand nicht gebrochen zu haben. Augenzeugenberichten zufolge sollen aus Schanaosen auch am Samstag noch Maschinengewehrsalven und Granateneinschläge zu hören gewesen sein, während in der Stadt immer noch Tausende Arbeiter und Jugendliche protestierten. Mehrere Tausend Ölarbeiter im benachbarten Kalamkas sollen ebenfalls in den Ausstand getreten sein, die Ölförderung in der Region soll zum Erliegen gekommen sein. Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und dem Repressionsapparat wurden auch aus der Ortschaft Shetpe gemeldet, wo bei einer Bahnstreckenblockade offiziellen Angaben zufolge ein Demonstrant erschossen und elf weitere verletzt wurden. In Aktau versammelten sich am Sonntag Hunderte Menschen, um gegen das Massaker und die Truppenpräsenz in der Region zu protestieren.
Die Unruhen sind auch eine Folge der zunehmenden sozialen Spaltung der kasachischen Gesellschaft: Kasachstan konnte zwar aufgrund seines Rohstoffreichtums in den vergangenen Jahren enorme Wachstumsraten verzeichnen, doch der Großteil der Einkünfte aus den Öleinnahmen geht in die Taschen der Klans im Umfeld von Präsident Nasarbajew, die auch die Führungspositionen in dem staatlichen Rohstoffsekor innehalten. Während eine schmale Herrschaftskaste - die auf familiären und regionalen Bindungen zu Nasarbajews Klan aufbaut - riesige Vermögen akkumulierte, bilieb ein Großteil der Arbeiterschaft und Bevölkerung Kasachstans von diesem Rohstoffboom ausgeschlossen.

Weitere Infos:
 http://campaignkazakhstan.org/
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Ergänzungen

Soliaktion

solidarisch 18.12.2011 - 20:51
Am Dienstag findet aufgrund der Ereignisse in Kasachstan eine Soli-Kundgebung in Berlin statt.

20.12, 17:30 Uhr Brandenburger Tor

Kundgebung wird angemeldet

Solidarität gefragt!

*-_-* 19.12.2011 - 02:06
Die Ereignisse sind schrecklich - Diktator Nasarbajew will scheinbar kurz vor den Wahlen (wo wirklich oppositionelle Parteien natürlich nicht zugelassen sind) anfang 2012 noch den offenen Krieg gegen die ArbeiterInnenbewegung erklären!

Es kommen wenig Infos aus Zhanaozen, da die Stadt scheinbar total isoliert wurde: Ausnahmezusatand, Telekommunikationsnetze gekappt. Die wenigen Infos aber, die kommen: Vom Staat bezahlte Terroristen, die in schwarzen Jeeps durch die Stadt fahren und rumschiessen! Inhaftierte ArbeiterInnen, die im Knast gefoltert werden (Bei minus 17 Grad Celsius werden sie mit Wasser im Knast-Hof übergossen)! Pressevertreter, die mit vorgehaltener Waffe ihre Kameras abgeben müssen! Es gibt die Info, dass die Diktatur angekündigt hat, in wenigen Wochen einige "besonders gefährliche" Regimegegner exekutieren lassen zu wollen - es sollen gezielt die Köpfe der ArbeiterInnenbewegung erschossen werden! Weitere Truppen sind auf dem Weg, Belarus schickt Riot-Police.



Wir können von Deutschland aus etwas bewirken! Beteiligt euch an Soli-Aktionen (wie beispielsweise in Berlin - Dienstag, 17.30h, Brandenburger Tor oder Köln - Dienstag, 18h, Esso-Tanke, Deutz-Kalker Straße 103) bzw. organisiert selber welche - in Aachen und Berlin haben bereits Freitag welche stattgefundenn ebenso in anderen europäischen Städten. Informiert die Öffentlichkeit, organisiert Veranstaltungen dazu. Nervt die Botschaft!



Die spärlichen Informationen, die wir bekommen, werden direkt veröffentlicht. Weil die kasachische Diktatur auch gegen kasachische oppositionelle Webseiten vorgeht und blockt bzw. angreift, nutzen die Streikenden die Webseite des CWI Russland für Veröffentlichungen:

www.socialistworld.ru (auf russisch)

In der Regel mit Zeitverzögerung werden die Infos dann ins Englische übersetzt: www.socialistworld.net bzw. ins deutsche: www.sozialismus.info

Artikel

Chernjak 19.12.2011 - 22:04
Guter Artikel auch hier:
 http://www.derfunke.de/content/view/1122/75/

Hoffen wir, dass das große Blutvergießen ausbleibt...

Beiträge die keine inhaltliche Ergänzung darstellen

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