Meiningen: Mordprozess nach Kindesmord in Z-M

Antifa Suhl / Zella-Mehlis 25.12.2011 17:37 Themen: Antifa
Das populistische Geschrei der Thüringer Nazis war groß, als in Zella-Mehlis ein 7-jähriges Mädchen verschwand und kurz darauf tot im Wald aufgefunden wurde - nun wurde in Meiningen der Täter verurteilt, der einer von ihnen hätte sein können.
Missbrauch und Mord

Im 24. Juni 2011 nahm der damals 37-jährige Tino Lummer ein 7-jähriges Mädchen aus seinem Bekanntenkreis mit in seine Wohnung. Dort vergewaltigte er das Kind und tötete es am Morgen darauf in einem Waldstück von Zella-Mehlis (Zur Chronologie des Falls). Am 16. Dezember begann der Prozess gegen den Täter vor dem Landgericht Meiningen. Lummer wurde schließlich am dritten Prozesstag zu lebenslanger Haft verurteilt. Verfolgt wurde der Prozess von dutzenden schaulustigen Empörten, die sich mal so einen »Kinderschänder«, von denen immer die Rede ist, anschauen wollten und die ihre Empörung scheinbar für Menschlichkeit hielten. Unter ihnen war auch eine Handvoll Nazis, wie der lange Zeit abgetauchte bzw. nach Westdeutschland verzogene Stefan Kolb aus Zella-Mehlis und Norman Senglaub aus Ilmenau. Kolb machte immer wieder durch Zwischenrufe auf sich aufmerksam.

Pathologischer Aufschrei

Schon kurz nach dem Verschwinden des Mädchens im Sommer diesen Jahres wussten die Nazis was zu tun ist. So meldete Sven Dietsch aus Meiningen einen Trauermarsch in Zella-Mehlis an, an dem sich nach Polizeiangaben bis zu 700 Menschen beteiligt haben sollen, nur die wenigsten von ihnen waren organisierte Nazis (Bericht zum Trauermarsch des Volksmobs). Das Kuriose hier: im Prozess stellte sich heraus, dass auch der Täter dort eine Weile zugegen war. Den Nazis ging es dabei freilich nicht nur darum, den Mord zu instrumentalisieren, um den Betroffenheitsmob von Zella-Mehlis hinter der Forderung nach Wiedereinführung der Todesstrafe zu versammeln. Sie fühlten sich tatsächlich betroffen davon, dass ein bis dahin unbekannter Täter ein deutsches Kind ermordete. Dass aus dieser Betroffenheit die eigene pathologische Schuldabwehr sprechen könnte, zeigt ein Blick auf den Täter, der sich von einem Nazi kaum unterscheidet bzw. ein Prototyp Nazi hätte sein können.

»Ich wollte kein Außenseiter sein«

Tino Lummer war ein ganz normaler Deutscher, besuchte die Hauptschule, ging zur Bundeswehr, machte eine Ausbildung im elterlichen Fleischereibetrieb, hatte zwei eigene Kinder, Probleme mit Drogen und im Straßenverkehr. Er war auf der Suche, aber nicht nach Erkenntnis oder nach Wahrheit, sondern auf der Suche nach Identität. Er wollte alles, aber kein Außenseiter sein. So äußerte er im Prozess auf die Frage, warum er in der Bundeswehr so stark dem Alkohol frönte, dass er eben kein solcher Außenseiter sein wollte. Er brauchte seinen Platz im Kollektiv und wenn dazu gehört, sich beim Militär das Hirn wegzusaufen, dann sollte es so sein. Lummer war ein unauffälliger Deutscher, abgesehen davon, dass er seine Familie beklaute und eine zeitlang sogar im Knast verbrachte. Nach seiner Entlassung lebte der gebürtige Sonneberger in der Zella-Mehliser Struth und bewegte sich im Bekanntenkreis seines späteren Opfers. Wenig deutete darauf hin, dass Lummer eines Tages ein Kind vergewaltigen und ermorden würde, auch er selber wusste das nicht. Das klischeehafte Bild des Kinderporno hortenden Hinterweltlers, der sich heimlich an Kinder ranmacht, muss hier wiedereinmal erschüttert worden sein. Der Mann war kein Außenseiter, der er nicht sein wollte, sondern ein bestens integriertes Mitglied der Zella-Mehliser Gesellschaft. Tino Lummer war ein potentieller Nazi: einfach, bildungsfern, selbstbezogen und ständig auf der Suche nach einer Identität in der Gemeinschaft, die seinem an sich nichtigen Selbst Halt verleiht. Dass Lummer, bevor er sich seine Neigung eingestand, einmal ein Mensch war, der die Todesstrafe für Kindermörder ohne groß nachzudenken gefordert hätte, liegt nahe.[1] Zur Identität des Kollektivs gehört der Ausschluss von Aussätzigen nämlich ebenso dazu, wie das Ritual, sich in der Bundeswehr beispielsweise volllaufen zu lassen, um zur Truppe zu gehören.

Menschenfeindliche Gesellschaft

Dabei soll keinesfalls der Eindruck entstehen, den Nazis und andere Ideologen gerne kolportieren, hier werde ein Kindermörder charakterisiert, der zu dieser Neigung genetisch veranlagt wäre und sich diese Neigung eben erst jetzt eingestand. Ganz im Gegenteil, eine genetische Veranlagung nahezulegen ist absurd. Lummer ist, wie alle Menschen, ein soziales Wesen. Das bedeutet nicht die Natur bestimmt in erster Linie über ihn, sondern die Gesellschaft in der er lebt und er selber, indem er immer vor der Wahl steht, sich den gesellschaftlichen Anforderungen zu beugen oder zu widersetzen; indem er vor der Wahl stand sein Glück in einer blinden Identifikation mit der herrschenden Ordnung zu suchen oder in der kritischen Auseinandersetzung mit ihr. Lummer hat den ersten Weg gewählt. Seine Handlungen verweisen zwar immer noch auf seinen freien Willen, aber mehr noch auf die gesellschaftliche Formierung, der er diesen Willen unterstellt hat. Lummer ist, wie jeder organisierte und potentielle Nazi auch, Produkt der Gesellschaft, die ihn nun für seine Tat verurteilt hat und mit ihm einen Teil von sich selbst. Lummers kalte Unmenschlichkeit, die ihn ein wehrloses Mädchen hat vergewaltigen und töten lassen, ohne dabei auch nur einen Ansatz von Empathie zu zeigen, sagt viel weniger über die Person Tino Lummer, als über die menschenfeindliche Gesellschaft, aus deren Schoß er kroch und von der er ein Teil sein wollte und geworden ist.
Menschen mit einem gesellschaftskritischem Anspruch müssen genau das hinterfragen, statt härtere Strafen für irgendwen und irgendwas zu fordern. Hier würde nur wiedermal ein gesellschaftliches Problem zu einem polizeilichen gemacht. Gefragt werden muss, was normale, einfache Deutsche, wie Tino Lummer zu solch einer barbarischen Tat treibt und wie eine Gesellschaft beschaffen ist, in der solche Menschen erst »gemacht« werden. Einem solchen kritischen Denken stehen die Nazis und der deutsche Betroffenheitsmob kategorisch entgegen.


[1] Dass vom angeblich so kinderfreundlichen Nazi zum »Kinderschänder« kein weiter Weg ist, zeigt nicht nur die deutsche Geschichte, sondern das ganz aktuelle Beispiel des ehemaligen Ilmenauer Nazikaders David Poppel: AGIL berichtete
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Ergänzungen

mögliche Ergänzung

Einfacher Text oder HTML? 26.12.2011 - 13:50
Mensch hätte noch auf latent "pädophile" Tendenzen innerhalb der Gesellschaft aufmerksam machen bzw. sich mit der Frage auseinandersetzen können warum es sozusagen gesellschaftlich verurteilte/verfolgte und tolerierte/immanente "pädophile" Tendenzen gibt. Zu letzterem gehört z.B. Rasieren von Beinen und Bekämpfung von Falten (als Zeichen der Alterung/körpl. Reife), Betonung/Wertschätzung von Jungfräulichkeit etc.
Des Weiteren grenzen die Kindesbilder dieser "Todesstrafe für Kinderschänder"-Forderer_innen ebenfalls selbst an Pädophilie: Meist unschuldig drein blickende junge blonde Mädchen. Und diese "kleinen Engel" müssen dann vor "den Bestien" beschützt werden (die meist selbst als Kind Opfer von (sex.) Gewalt waren).
Zentral für den ganzen Missbrauchskomplex ist die Frage nach Autorität - allgemein und speziell im Verhältnis von Kind/Jugendlichem_er und Erwachsenem_er. Dementsprechend erscheint es wenig verwunderlich, dass jemand, der z.B. innerhalb der Bundeswehr Autorität und Unterordnung verinnerlicht diesen Fremdverfügungsanspruch wieder reproduziert und auf diese Weise umsetzt.

Nazidemo in Meiningen fande nicht statt

AutorIN 26.12.2011 - 14:11

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Kleine Kritik — Antifa

Verbindungen? — Bob

gewagt — bad

Immernoch Schwachsinn — Hackbard