"Spurensuche im Kosovo"

Dietmar Buttler 04.06.2012 15:24 Themen: Antirassismus Indymedia Medien Print Repression
Mitten in der Nacht wurde am 07.12.2011 die achtköpfige Roma-Familie Meta aus Otterndorf von Sicherheitskräften abgeholt und aus Deutschland in den Kosovo ausgeflogen.Im April 2012 bekam die Familie Meta nun Besuch von einer Delegation des niedersächsischen Landtagsinnenausschusses.
Die Eltern mit sechs Kindern zwischen acht und 19 Jahren wurden nach mehr als zehn Jahren Leben im Landkreis Cuxhaven in den Kosovo abgeschoben. Die Kinder sind in Deutschland zur Schule gegangen. Die älteste Tochter stand kurz vor ihrem Schulabschluss. Das Schicksal der Familie Meta berührte und berührt viele Menschen in der Samtgemeinde Land Hadeln - und sorgt noch immer für Empörung. In einer Resolution hat der Rat der Samtgemeinde Land Hadeln am 22.03.2012 die Landesregierung aufgefordert, die Situation der Familie erneut zu prüfen. Der Rat hält u. a. laut Resolution "ein Leben in Sicherheit und Würde im Kosovo für Roma praktisch für unmöglich - daher muss Roma-Flüchtlingen ein sicherer Aufenthalt in Deutschland möglich sein."

Vom 22.04. bis zum 26.04. war die Delegation auf Antrag der Linksfraktion im Kosovo unterwegs, um sich ein Bild über die abgeschobenen Flüchtlinge zu machen. Neben Abgeordneten von CDU, SDP, Grünen und der Linksfraktion reisten auch Vertreter von Kirchen, dem Roma-Center Göttingen, Pro Asyl und dem Flüchtlingsrat Niedersachsen mit in den Kosovo. Die Delegation traf mit Vertetern der Integrations- und Innenministerien, Hilfsorganisationen und aus Niedersachsen abgeschobenen Familien zusammen. Darunter eben auch mit der aus Otternndorf abgeschobenen Familie Meta. Ein Gespräch mit der innenpolitischen Sprecherin der Linksfraktion Pia Zimmermann (siehe Foto)und der integrationspolitischen Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion Silke Lesemann über ihre Eindrücke nach der Reise.
Laut Zimmermann und Lesemann lebt die achtköpfige Familie Meta aus dem Landkreis Cuxhaven beengt in einer Zweizimmerwohnung in Gjakovo - 80 Kilometer von Pristina entfernt. Die Kinder halten sich derzeit zu Hause auf, da sie in der Schule die Sprache nicht verstehen. Die Familie hat zu Beginn eine einmalige Zahlung von 50 Euro pro Person erhalten. Arbeit gibt es in Gjakovo nicht. Die Wohnung wird noch bis Juni finanziert. Was dann geschieht, ist offen. Die Familie musste bereits Erfahrungen mit Alltagsdiskriminierung machen. Sie berichtete von einem Übergriff auf den jüngsten Sohn. Die jüngeren Mädchen fürchten sich, alleine auf die Straße zu gehen. Der verzweifelte Appell der Familie an die Delegierten: „Wir wollen weg von hier!"

"Nicht nur bei dieser Familie stellt sich die Frage, warum eine bestens in Deutschland integrierte Familie in die Perspektivlosigkeit abgeschoben wurde. Kein Geld, keine Perspektive und ständige Angst vor Misshandlungen“ , beschreibt Pia Zimmermann insgesamt die Lage der Sinti und Roma im Kosovo. Familie Cowaj z. B. lebt laut Zimmermann mit ihren sieben Kindern in Plemetina. Vor drei Jahren wurde sie aus Bramsche (bei Osnabrück) abgeschoben. Plemetina liegt außerhalb einer Ortschaft zwischen zwei Kraftwerken. Überall liegt übelriechender Müll herum. Die Menschen leben dort in Baracken unter unvorstellbaren Bedingungen: Kein Wasser, kein Strom, keine Möglichkeit, sich seine Umgebung ein wenig besser zu gestalten. Sie haben kein Geld, keine Kleidung. Pia Zimmermann:" Es ist einfach beschämend!" Sie haben einen Raum für neun Personen. Selbst in ihrer notdürftigen Behausung dürfen sie nicht auf Dauer bleiben, vielleicht noch ein halbes Jahr, mit ganz viel Glück auch ein Jahr, dann geht es in die Ungewissheit. Geld für den Unterhalt bekommen sie nicht, Arbeit gibt es schon gar nicht für Roma, medizinische Versorgung ist unbezahlbar. Psychisch und chronisch Kranke sind ihrem Schicksal ausgeliefert.

Fast alle Hilfsorganisationen, mit denen Zimmermann und Lesemann gesprochen haben, forderten, derzeit keine Roma in den Kosovo abzuschieben. Regierungsvertreter des Kosovo kamen dagegen zu einem anderen Ergebnis.Sie sprechen von Erfolgen bei der Integration abgeschobener Roma. Zimmermann : „Sie erklärten nicht, wie sinnvolle Reintegrationsangebote mit einer Arbeitslosigkeit von fast 60 Prozent allgemein im Kosovo und mehr als 90 Prozent für Minderheiten wie der Roma vereinbar sein sollen. Sie loben den Integrationsfonds, und sehen nach einem halben Jahr einfach zu, wie die Familien ohne Wohnung, ohne Lebensmittel und ohne Arbeit nur noch dahinvegetieren.“ SPD-Integrationsexpertin Lesemann: "Die seit 2010 laufende „Reintegrationsstrategie" für abgeschobene Angehörige des kosovarischen Staates, aber auch Programme der Niedersächsischen Landesregierung wie URA II (Albanisch: Brücke), sind auf Grund dieser Rahmenbedingungen keine Hilfe oder lediglich nicht viel mehr als die im Namen angelegte „Überbrückungshilfe". Die einmalige medizinische Hilfe von 75 Euro und die 50 Euro Unterhaltskosten sind schnell aufgebraucht. Die Vertreter von Organisationen, wie z.B. UNICEF(Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen), UNHCR (Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen) und OSZE (Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa) betonten, dass die Regierung völlig überfordert sei, die rückgeführten Menschen zu integrieren. Die Fakten und auch die Gespräche mit den Betroffenen vor Ort bestätigten dies. So appellierten z. B. die Vertreter der Stadtverwaltung aus Fuse Kosove an uns, keine Menschen mehr abzuschieben!".


Lesemann weiter:"Die Republik Kosovo schloss mit verschiedenen Mitgliedsstaaten der EU nach ihrer Anerkennung 2008 Rückübernahmeabkommen, um dem Ziel der Visaliberalisierung einen Schritt näher zu kommen.Vor diesem Hintergrund gibt es ein vitales Interesse daran, die Bemühungen zur Umsetzung des Rücknahmeabkommens von Roma aus Deutschland positiv herauszustellen. Nach der Verfassung der Republik Kosovo ist Diskriminierung von Minderheiten verboten. In der Praxis findet sie jedoch statt. Unser Eindruck wurde durch viele Gespräche mit Vertreterinnen und Vertretern von staatlichen Institutionen, Kommunen, Gesundheitseinrichtungen, NGOs (Nichtregierungsorganisationen) und selbst durch die KFOR (Kosovo Force: Militärische Formation unter Leitung der NATO) bestätigt." Diese lehnten weitere Abschiebungen laut Lesemann ab. Wirtschaftliche und soziale Gründe sowie die fehlende medizinische Versorgung, vor allem für traumatisierte Menschen, verbiete weitere Rückführungen. Die Gesprächspartner hätten im Kosovo auf die extrem schwierige Situation der abgeschobenen Roma hingewiesen. Insbesondere die Lebensbedingungen von abgeschobenen Kindern und Jugendlichen seien fatal, da sie oft unter menschenunwürdigen Bedingungen leben müssten. Sie seien oft aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse in der neuen Umgebung chancenlos. Regelmäßiger Schulbesuch sei die Ausnahme, wurde den Delegierten mitgeteilt. Viele Kinder litten unter psychischen Erkrankungen und könnten oft nicht medizinisch behandelt werden. Sie fänden sich in ihrer neuen Umgebung häufig nicht zurecht und würden von der Mehrheitsgesellschaft nicht akzeptiert.

Silke Lesemann: „Wer sich ein Bild vor Ort gemacht hat, für den verbieten sich weitere Abschiebungen von Roma in den Kosovo."

„Hier geht es um Menschen, die bei uns integriert waren“, so Zimmermann. Das Land Niedersachsen müsse weitere Abschiebungen in das Kosovo sofort stoppen und bereits abgeschobenen Flüchtlingen eine Perspektive zur Rückkehr eröffnen. Es sei unglaubwürdig, wenn wir zwar den faschistischen Völkermord an Sinti und Roma als Verbrechen brandmarken, – im Bundestag werde jedes Jahr im Dezember an dieses Verbrechen erinnert – den Roma jedoch gleichzeitig unseren vorbehaltlosen Schutz verweigern. Ein Leben in Sicherheit und Würde sei im Kosovo für Roma praktisch unmöglich – daher muss Roma-Flüchtlingen ein sicherer Aufenthalt in Deutschland ermöglicht werden.

In Niedersachsen leben zur Zeit etwa 2000 von etwa bundesweit 8000 ausreisepflichtigen Roma aus dem Kosovo.

Creative Commons-Lizenzvertrag Dieser Inhalt ist unter einer
Creative Commons-Lizenz lizenziert.
Indymedia ist eine Veröffentlichungsplattform, auf der jede und jeder selbstverfasste Berichte publizieren kann. Eine Überprüfung der Inhalte und eine redaktionelle Bearbeitung der Beiträge finden nicht statt. Bei Anregungen und Fragen zu diesem Artikel wenden sie sich bitte direkt an die Verfasserin oder den Verfasser.
(Moderationskriterien von Indymedia Deutschland)

Ergänzungen