Regionalexpress 18-88

Janosch H. 17.01.2012 15:00 Themen: Antifa Antirassismus Repression
Es wird viel darüber geredet, dass sich die NPD und auch die Nazis insgesamt ein "bürgerliches" Image geben. Dieser Artikel soll anhand einer persönlichen Erfahrung schildern, wie dieses Image in Brutalität aufgeht, sobald Nationalsozialisten die Chance dazu haben.
In einer 4er-Gruppe befanden wir uns auf dem Rückweg aus Magdeburg von den zahlreichen Widerstandsaktionen gegen die dortige Nazi-Demo. Es handelte sich um den ersten großen Aufmarsch seit bekannt wurde, dass im vergangenen Jahrzehnt eine nationalsozialistische Terrorzelle etliche Immigranten ermordete – weitgehend unbehelligt; geschützt von unfähigen Verfassungsschützern und unkoordinierter Arbeit der zuständigen Stellen.

Der Zug war voll mit ca. 70 Nazis, die zwar aggressiv, asozial, laut und besoffen waren, die von den mitreisenden Polizisten aber recht gut unter Kontrolle gehalten wurden. Wir hatten schon am Anfang der Zugfahrt unsere Besorgnis über die massive Präsenz der „freien sozialen Nationalen“ bei den mitreisenden Polizisten geäußert. Trotzdem verließen ALLE Polizeibeamten in Hannover den Zug. Nicht unbemerkt von den Nazis, die keine zwei Minuten nach Abfahrt des Zuges in 10er-Trupps in allerbester SA-Manier durch die Gänge des Zuges preschten, Parolen skandierten, einer unserer Gruppe Bier über den Kopf schütteten und mir mit der Faust ins Gesicht schlugen, als ich fragte, was das solle.

Ich bin alles andere als radikal und sehe auch einige Aktionen der Antifa sehr kritisch, aber seit gestern stelle ich mir die Frage: In was für einem Staat leben wir denn? In der Nazi-Aufmärsche und -Kundgebungen mit Tausenden Polizeibeamten geschützt werden (ich sage nicht, dass das schlecht ist), aber in der gleichzeitig Polizeibeamte einen Zug mit über 50 aggressiven, alkoholisierten Faschos ohne jede Ankündigung ver- und somit sich selbst überlassen? Nachdem der Zug zu einem rechtsfreien Raum für die Nazis durch die Nazis erklärt wurde, eine gemeinschaftliche Körperverletzung stattgefunden hatte und in jedem Abteil sich Nazi-Grüppchen breit machten, rief ich die 110 an und wurde dann von der Bundespolizei zurückgerufen. Ich bat eindringlichst darum, den Zug mit Polizeibeamten zu sichern, ich erklärte, dass ich bereits einen Schlag ins Gesicht abgekriegt hatte, ich erklärte, dass die Gesamtsituation beängstigend, schockierend, einfach unerträglich und gefährlich war. Mehrmals musste ich das Telefonat unterbrechen, weil Nazi-Horden vorbeipatrouillierten. Was passierte? Ich wurde zurückgerufen, dass es nicht möglich sei, in Wunstorf, der nächsten Station, Einheiten zu mobilisieren. Verständlich, aber ich und ein weiterer Mitreisender baten nochmals dringend um Unterstützung. Die Lage hatte sich zwar leicht beruhigt, aber man fühlte sich trotzdem wie in einer Geisterbahn, in der man nicht weiß, was als nächstes kommt. Hatten wir das Schlimmste schon überstanden, oder wartete die richtig fiese Überraschung erst noch auf uns?

In den nächsten Stationen standen dann zwar Landespolizeibeamte auf den Bahnsteigen, doch weder unternahmen sie irgendwelche Anstalten, um Täter, bspw. durch Befragung oder Personalien-Aufnahme der aussteigenden Faschos, zu finden, noch bestiegen sie den Zug. Obwohl wir noch einmal darum auf dem Bahnhof im persönlichen Gespräch baten. Station für Station, insgesamt eineinhalb Stunden, ging die Geisterfahrt weiter. Weiter ins Ungewisse.

Die Reaktionen der Polizei waren wortwörtlich reaktionär – nichts weiter. Ihr Handeln bzw. Unterlassen war vielleicht formal richtig (höchstwahrscheinlich nicht mal das), aber eine aktiv für den Rechtsstaat an vorderster Front kämpfende Polizei, der wir das Gewaltmonopol übertragen haben und die somit einzige Institution gegen gewaltbereite Kräfte ist, stelle ich mir anders vor. Diese Polizei würde der Proklamation eines rechtsfreien Raums entschlossen und schnellstmöglich entgegen wirken. Sie würde Maßnahmen ergreifen, um angezeigte gefährliche Körperverletzungen aufzuklären, solange hierzu noch die Chance besteht. Vor allem würde sie versuchen, die noch im Zug sitzenden Menschen zu schützen. Sie würde nicht sagen, dass man nichts in Richtung Aufklärung tun könne, wenn die Nazis vermummt waren und überraschend schnell genug angegriffen haben, so dass man sie als Geschädigter nicht spontan identifizieren kann. Man könne ja nicht von allen Nazis die Personalien aufnehmen und sie dadurch unter Generalverdacht stellen (was man allerdings in Magdeburg konnte, als 30 Gegendemonstranten trotz Aufnahme ALLER Personalien der Weg zu einer angemeldeten, stattfindenden und friedlichen Gegendemonstration verwehrt wurde).

Ich kann mich (wider besseren Wissens!) des Eindrucks nicht erwehren, dass Nazis geschützt und ihre Verbrechen gedeckt werden. Verständlich ist noch, dass ihnen der Gebrauch ihrer Versammlungsfreiheit ermöglicht wird. Aber ist es verständlich, ihnen eineinhalb Stunden lang einen Regionalzug zu überlassen, in dem mindestens eine gefährliche Körperverletzung, Nötigungen und Beleidigungen (durch das Überschütten mit Bier zudem eine Sachbeschädigung) geschehen sind? In dem nationalsozialistische, gewaltverherrlichende, beleidigende Parolen skandiert werden? In dem Türken als Kanacken beschimpft werden und Unschuldige ins Gesicht geschlagen werden? Während die Faschos klarmachen, dass sie sich vollends bewusst sind, dass die Polizei ausgestiegen ist und „keine Zeugen“ [sic!] anwesend sind? Und während die Polizei von all dem Kenntnis hat???
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Ergänzungen

Antifaschistischen Selbstschutz Organisieren

....... 17.01.2012 - 17:20
Willkommen in der Deutschen Realität.
Tut euch wenn möglich mit anderen Gruppen zusammen und besteigt geschlossen den Zug, am besten ganz vorne oder ganz hinten.
Bildet im vorraus Fahrgemeinschaften.
Nutzt die Strategischen Vorteile wie enge Gänge und Türen für euch aus.
Laßt andere nicht allein.
Auch Nazis kommunizieren, merkt euch wenn möglich gerufene Namen und alles was auf die Herkunft der Angreifer schliessen läßt( Aufnäher,fahnen,austieg etc.) und leitet diese infos an Antifaschistische Gruppen weiter, ggf. Gedächnissprotokoll.
Verlasst euch nicht auf die Polizei.........
Solidarische Grüße

mach die

augen auf 17.01.2012 - 17:24
Tja, willkommen in der deutschen Realität.

Das sind Erfahrungen die so oder ähnlich schon viele gemacht haben. Verlass dich nicht auf Staat und Polizei. Die Antifa-Bewegung ist aus genau solchen Gründen entstanden. Schon in den 80ern wurden linke, alternative oder Menschen mit ausländischer Herkunft von der Polizei alleine gelassen wenn sie Stress mit Nazis hatten.

Und An- und Abreise bei Demos ist immer eine heikle Sache. Wahlweise sollte man da einfach in großen Gruppen unterwegs sein, oder wenn das nicht geht ist es auch ratsam vor und nach einer Demo nicht als Demo-Teilnehmer_in erkennbar zu sein. Lass dich von solchen Erlebnissen nicht abschrecken. Rede über solche Vorfälle und mach dir deine eigenen Gedanken über Nazis, Staat und Polizei.

natürlich war

es so... 17.01.2012 - 17:51
Hast du schon mal dran gedacht in deiner Freizeit Sport zu machen, anstatt Horrormeldungen alá BILD zu verbreiten??? Tut mir leid, aber deine Geschichte stinkt zum Himmel! Aber gut, mach mal weiter Panik und heule!!! Die Bild kauft die deine Story bestimmt ab...

Gewaltmonopol

Alex 18.01.2012 - 00:07
Ich habe niemandem das Gewaltmonopol übertragen, dass hätten sie vielleicht gerne.
Dass ihr überhaupt mitgefahren seit finde ich sehr mutig! Hochachtung! Ich weiß nicht, ob ich das gemacht hätte. Ihr seit Helden!.Danke, dass ihr da wart.
Liebe gRÜẞE.

@augen auf

MaxPower 18.01.2012 - 16:18
Hi.
Ich muss Augen auf leider berichtigen.
Die Antifabewegung entstand Ende der 60er Jahre und wurde auf Unterstützung der Russen gegründet. Eine bürgerliche Antifaschistische Bewegung, in viele kleine Gruppen unterteilt, unabhängig voneinander und Ablehnung der "Westlichen" Allierten Polizeibehörde, waren die übergreifenden Konsente dieser Gruppen.

Diese Antifa hielt aber nicht lange.
Nach Hoyerswerde gründeten sich bundesweit Antifagruppen mit der gleichen Organisationsstruktur.

Antifa Historie?

unerheblich 18.01.2012 - 17:37
... bringt nicht wirklich ne Bereicherung für den Inhalt des Textes, aber meine Infos was die Entstehung der AfA angeht sind andere. ICh kopiere einfach mal den Abschnitt von Wikipedia raus ( http://de.wikipedia.org/wiki/Antifa), da der auch meinen Kenntnisstand wiedergibt:

"Der Begriff und die Idee der Antifaschistischen Aktion kamen ursprünglich aus Italien, wo Gegner von Mussolini als „Antifaschisten“ bezeichnet wurden. In Deutschland gab es seit 1923 die „Antifaschistische Aktion“ als Teilbereich des Rotfrontkämpferbundes. Ihr Ziel war es, gegen den aufstrebenden Faschismus zu kämpfen. Anfänglich kamen die Mitglieder der Antifaschistischen Aktion nur aus der kommunistischen, später aus allen sozialistischen Parteien und Organisationen. Die Antifaschistische Aktion sah ihre Aufgabe weniger darin, den revolutionären Kampf zu führen, sondern sie wollte in erster Linie – trotz aller Kritik an den Strukturen der Weimarer Republik – die bisher erkämpften emanzipatorischen Errungenschaften dieser Republik vor einem „Rückfall in die Barbarei“ durch den Faschismus schützen."

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